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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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jämmerliche Streben nach Unsterblichkeit.
Sie tickt anders, denn ihr gefällt der praktische Nutzen von
Zahlen, anders als Großväter und Gefühle sind sie im
Wesentlichen berechenbar,und das ist auch schon ihre einzige
Bestimmung auf Erden.
    Es klopft an der Tür, und Volker tritt ein, ohne eine
Aufforderung abzuwarten. »Engel, sag mal, bist du in Ordnung?«,
fragt er in seiner direkten Art, die sie nur zu schätzen weiß,
wenn sie nicht selbst darunter zu leiden hat.
    Â»Ja, wieso?«
    Â»Weil du dich hier ziemlich oft vertan hast.« Er legt
eine von ihr verfasste Analyse auf den Tisch. Es geht um den Bunker
in Hamburg.
    Â»Seit wann kontrollierst du meine Arbeit?«
    Volker hebt abwehrend die Hände. »Hab nur einen Blick
drauf geworfen, sorry. Ich dachte, du wärst damit fertig, und
das Ding soll so raus.«
    Sollte es auch, aber das behält Liv für sich. Sie schaut
in das freundliche Gesicht ihres Angestellten, die rosige Haut unter
dem Vollbart, die kleinen grauen Augen, ein Gesicht frei von
Gehässigkeit. Man kann Volker vertrauen. Er hat sich immer
prächtig mit Tönges verstanden – vielleicht wäre
es an der Zeit, ihn einzuweihen. Sie überlegt kurz und lässt
es bleiben.
    Â»Ich schau noch mal drüber. Danke für deine Mühe.
Und übrigens: Bei mir ist alles bestens. Bloß mein
Computer spinnt. Okay?«
    Â»Du bist der Boss«, sagt Volker und zieht sich zurück.
    Sie überprüft die Berechnungen. Peinliche Fehler. Volker
hat sie vor einer Blamage bewahrt. Die Angst um Tönges ist wie
Sickerwasser, das an den unmöglichsten Stellen in ihr
Bewusstsein dringt.
    Als ein alter Kunde anruft und ihr zum Abschluss des Gesprächs
»Grüße an den Herrn Großpapa« aufträgt,
macht sie Feierabend.
    Es ist lange hell, reichlich Zeit für einen
Strandspaziergang. Entscheidungen sind zu treffen, das geht am Meer
oft leichter als anderswo. Nicht, dass die Entscheidungen dadurch
besser würden, sie drängen sich nur schneller auf, die
guten wie die schlechten.
    Liv stellt ihren Wagen in Travemünde beim alten Leuchtturm
ab. Wie sich zeigt, kann sie froh sein über den Parkplatz: Die
Promenade an der Flussmündung ist belebt. Geschiebe wie auf
einem Rummelplatz, überall kreischen Kinder, Hunde bellen, Kerle
grölen, dazwischen Senioren am Stock oder mit Gehwagen. Direkt
neben Liv rotzt ein Mädchen aus und trifft die Hosenbeine eines
Passanten, der nichts bemerkt,und ihre drei Freundinnen lachen
kreischend wie über einen gelungenen Witz. Liv ist angewidert,
obwohl sie weiß, dass sie in dem Alter auch nicht besser war.
    Sie nimmt die Norderfähre, ein kleines Boot im Pendelverkehr,
um auf den Priwall zu gelangen. Die Halbinsel ist selten überlaufen.
    Endlich am Strand. Sie zieht die Schuhe aus und lässt sie
stehen, die ersten Schritte barfuß im Freien seit letztem
Sommer. Der Sand unter ihren nackten Füßen: ein Fest,
trotz spitzer Kiesel und scharfkantiger Muschelsplitter. Solange man
nur fest darauf tritt, tut nichts weh, und wenn doch, ist es ein eher
angenehmer Schmerz.
    Die Ostsee plätschert seicht, keine Brandung. Liv atmet durch
und wundert sich, wie warm es ist.Während der letzten Tage hat
sie das Wetter nicht wahrgenommen. Schön wie am Mittelmeer. Ein
stabiles Hoch scheint über dem Norden zu liegen, deshalb die
Menschenströme, die Hoteliers wird es freuen. Leider ist die
Luft nicht mehr rein wie am letzten Wochenende, sondern diesig und
verbraucht, obwohl ein leichter Wind weht. Das Ende des Strandes,
früher DDR, verliert sich in einem stumpfen, rosafarbenen Licht.
    Jetzt eine Weile an gar nichts denken, dafür wäre die
Abendstimmung wie bestellt. Doch deshalb ist sie nicht hergekommen.
Liv konzentriert sich. Es gibt drei Möglichkeiten: Sie besinnt
sich auf ihre Fähigkeit zur Disziplin und bleibt im Dienst, dann
muss sie sofort aufhören, dumme Fehler zu machen, ansonsten
könnte sie ernsthaft Schaden anrichten. Oder sie tritt kürzer,
fährt nach Fehmarn und lernt Kitesurfen, was sie schon lange
vorhat. Früher war sie begabt im Wellenreiten, es würde
Spaß machen, sich auf etwas Neues einzulassen, sich wieder mehr
zu bewegen. Sie könnte sogar Aaron mitnehmen, einfach eine Woche
raus aus der Schule. Janko würde durchdrehen. Liv feixt. Eine
reizvolle Idee. Die dritte Möglichkeit ist die unbequemste: Sie
macht sich auf die

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