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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Stärke
versetzt, verspricht er, nicht wieder damit anzufangen, bis sie die
Sache mit ihrem Großvater aufgeklärt hat. Bis dahin wird
sie ihre Konsequenzen gezogen haben.
    Â 

Schnee
    Niemand vermisst Tönges Engel. Niemand außer Liv. Egal,
mit wem sie über ihren Großvater spricht, die Antworten
fallen einsilbig aus und enden meist mit einem Schulterzucken. Nicht,
dass es viele Leute zu befragen gäbe, eigenbrötlerisch, wie
er nun einmal ist, hatte er vor allem in den letzten Jahren zu kaum
jemandem Kontakt. Von Livs Angestellten haben lediglich zwei noch mit
dem Firmengründer zusammengearbeitet, für die anderen war
er nur ein unfreundlicher alter Mann, der dann und wann auftauchte
und ihnen mit seinen Ratschlägen und Meinungen auf die Nerven
fiel.
    Anfangs findet Liv es beinahe aufregend, Nachforschungen über
Tönges anzustellen. Ein Gefühl, das nicht lange vorhält,
da sie überall in Sackgassen gerät. Sie telefoniert mit
Krankenhäusern – vergebens. Sie platziert Steckbriefe im
Internet – mit dem Ergebnis, dass sie per E-Mail das Angebot
erhält, in einer Fernsehsendung aufzutreten: Realcity-TV,
irgendein drittklassiger Privatsender. Sie ruft den Polizisten an,
den sie im Schrebergarten getroffen hat, um ihn zu fragen, ob er ihre
Bemühungen für nutzlos hält – darauf seine
ehrliche Antwort: »Ja, absolut.Alles, was Sie tun, tun Sie im
Grunde für sich selbst. Damit Sie sich besser fühlen.«
Als sie ihm antwortet, es gehe ihr hervorragend, glaubt er ihr nicht.
    In der Firma findet sie es schwierig, ihr Pensum zu schaffen, und
sie ernennt Volker zu ihrem Stellvertreter, gibt wichtige Termine an
ihn ab, was noch nie vorgekommen ist. In beruflichen Dingen ist sie
normalerweise die Gewissenhaftigkeit in Person.Aber von Normalität
kann keine Rede mehr sein, wenn ein Achtundsiebzigjähriger sich
scheinbar in Luft auflöst und das jedem anderen egal ist. Ob das
bei ihr genauso wäre? Vermutlich. Aaron würde ihr
Verschwinden geheim halten, seine Freiheit genießen und allein
in ihrer Wohnung genussvoll verlottern. Was sein gutes Recht wäre,
ihrer Meinung nach. Schließlich ist sie nie für ihn da
gewesen.Aus den paar guten Momenten, die sie hatten, kann man noch
kein Vermissen ableiten, das ist Liv klar.
    Die Treppe ist neuerdings ein Problem. Mit ihrer kaputten Hüfte
wäre ein Schlafzimmer im Erdgeschoss von Vorteil, doch alles in
Fritzi sträubt sich dagegen, die Verwandtschaft zu bitten,
entsprechende Umbauten in Angriff zu nehmen. Besonders weil ein neues
Bett gekauft werden müsste, das Ehebett aus Kiefernholz ist viel
zu schwer und zu groß, um im Wohnzimmer Platz zu finden.Für
derlei Anschaffungen fehlt das Geld. Vielleicht genügen ja auch
ein paar Schmerztabletten. Sie greift zum Telefon, um die Tochter zu
bitten, bei Gelegenheit ein geeignetes Mittel mitzubringen, sofern es
keine Umstände macht.Als sie die Nummer gewählt hat und das
Freizeichen ertönt, legt sie auf. Unnütz, das Mädchen
mit einem Anruf bei der Arbeit zu stören, sie womöglich zu
beunruhigen. Fritzi wird sie einfach bei ihrem nächsten Besuch
darauf ansprechen. So lange heißt es, Zähne zusammenbeißen
und gemächlicher schaffen, den Frühjahrsputz auf den Sommer
verschieben oder schlimmstenfalls auf den Herbst, schließlich
schreibt ihr niemand mehr das Tempo vor. Nicht so wie einst, als die
greise Halldöra hinter den Ecken lauerte und darauf achtgab,
dass die Magd aus der Fremde nur ja keine Pausen einlegte.
    Eine Folge des Alterns: Ihre Tage mögen gezählt sein,
aber Zeit besitzt sie im Überfluss. Verrückte Welt.
    Liv hat ihr Handy verloren. Es muss aus Adergesäßtasche
ihrer Jeans gerutscht sein, wäre nicht das erste Mal. Sie ahnt
auch wo: auf dem Trümmerberg in Lübeck-Herrenwyk, der immer
noch daliegt, weil lange über Genehmigungen für die
Weiternutzung des Grundstücks gestritten wurde. Heute Nachmittag
war die Übergabe an das Unternehmen für Betonrecycling.Ein
angenehmes Treffen, man hat ihre Arbeit gelobt, die Sonne hat
geschienen, und für eine Weile konnte sie Tönges vergessen.
Jetzt, im Bewusstsein, dass sie seit Stunden nicht erreichbar ist –
auch für ihn nicht –, hat sie ein schlechtes Gewissen.
Obwohl es nach neun Uhr ist und dämmrig und sie eigentlich
gerade in die Badewanne gehen wollte, beschließt sie,

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