Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
Vom Netzwerk:
zu
Gesicht, bemerkt Liv. Sie auf der Suche. Rúnar in der
Glaubenskrise. Beide nicht allzu zuversichtlich.Das scheint eine
schlüssige Erklärung für die tiefe Verbundenheit zu
sein, die sie von Anfang an gespürt hat und die ihr Rätsel
aufgab. Zwei Menschen, von Auflösung bedroht, suchen und finden
Halt aneinander. Unbewusst. Warum nicht?
    Â»Du, eine gute Nachricht: Ich glaube, es geht auch ohne
Gott«, sagt sie.
    Rúnar atmet tief durch. »Und ohne deinen Opa?«
    Dass er ohne Vorwarnung auf Tönges zu sprechen kommt, bringt
Liv sofort in Rage, dennoch gelingt es ihr, mit einigermaßen
neutraler Stimme zu antworten: »Wäre ich dann hier?«
    Â»Das heißt also, es ginge nicht ohne ihn?«
    Â»Nein.«
    Â»Ach komm, das ist lächerlich. Er ist ein alter Mann,
er wird vor dir sterben. Du musst damit klarkommen.«
    Obwohl oder gerade weil er recht hat und sie weiß, wie
unreif sie sich aufführt, ist Liv jetzt so wütend auf
Rúnar, dass sie sich nur mit Mühe verkneifen kann, ihm
den Rest ihres Kaffees ins Gesicht zu schütten.
    Er blickt stur auf die Straße. »Wusstest du, dass
Jähzorn erblich ist? Man kommt nicht dagegen an.«
    Ankunft auf Fagrihvammur. Wie Rúnar zu berichten weiß,
dekoriert sich in Island jedes Gehöft mit einem klangvollen
Namen, unabhängig von Größe und Geltung. Fagrihvammur
bedeutet so viel wie »schönes Grasland«. Ein zugiger
Ort.
    Auf den ersten Blick wirkt das Farmhaus gemütlich: weißer
Putz, rotes Dach, rot gestrichen sind auch die Fensterrahmen, der
Zaun und die Haustür, trotzige Farbtupfer inmitten bleierner
Trostlosigkeit. Leuchtturmfarben. Es wäre eine gute Tür für
Tönges Engel, um wieder auf der Bildfläche zu erscheinen,
seiner würdig. Liv wünscht sich nichts sehnlicher. Die
Intensität des Wünschens lässt sie den Atem anhalten.
Rúnar lächelt ihr zu, bevor er aussteigt.
    Noch bevor sie den Weg vom Auto zum Haus zurückgelegt haben,
öffnet sich der rote Sesam – und auf der Schwelle
erscheint eine hochbetagte Frau: gebrechlich, gebückt.
    Liv gibt die Luft aus ihren Lungen frei.
    Rúnar winkt und ruft der Alten eine Begrüßung
zu, ohne eine Antwort zu erhalten, was ihn nicht zu überraschen
scheint. Vielleicht hört sie nicht mehr gut, und er weiß
das.
    Liv erwägt ihren Rückzug. Was ihr zunächst nicht
auffiel, nun sieht sie es überdeutlich: die Schäbigkeit des
Wellblechs auf dem Dach, bei Nordwind müsste es reinregnen, die
Risse in der Hauswand, den mürben Putz. Die schadhafte
Regenrinne, die absteht wie ein gebrochener Finger, die drei
ausgetretenen Stufen vor dem Eingang ... Spuren des Niedergangs
überall. Schafscheiße im Vorgarten. Wäre Tönges
hier, er hätte sich längst an die Arbeit gemacht.
    Liv ruft sich ins Gedächtnis, es war nie die Rede davon, dass
ihr Großvater sich an diesem Ort aufhalten könnte. Es geht
lediglich um die Möglichkeit, hier etwas über Inga zu
erfahren.
    Â»Lass unbedingt mich reden«, flüstert Rúnar,
bevor sie hineingehen.
    Die alte Frau heißt Gudrun Reiser, das ist ihr deutscher
Mädchenname. Sie ist achtundsiebzig, mindestens so alt sieht sie
auch aus, eine gebückte Witwe mit eingefallenen Zügen, sie
könnte genauso gut hundert sein. Sie bewirtschaftet Fagrihvammur
mit dem ältesten ihrer vier Söhne. Der Hausherr, Ende
fünfzig und Junggeselle laut Rúnar, lässt sich
entschuldigen. Die Schafe sind wichtiger als ein Gast aus
Deutschland.
    Man nimmt in einem mehr als gut geheizten Wohnzimmer Platz. Liv,
üblicherweise bereits mit Besuchen bei der eigenen
Verwandtschaft überfordert, ist bemüht, in der hintersten
Ecke eines mit Tierhaaren, Kekskrümeln und Flecken übersäten
Polsters so wenig wie möglich aufzufallen, und überlässt
die Gesprächsführung fürs Erste tatsächlich
Rúnar, auch wenn es ihr einen Stich versetzte, von ihm dazu
aufgefordert zu werden. Eine Anmaßung.
    Bislang ist kein deutsches Wort gesprochen worden. Liv verliert
sich in dem isländischen Singsang, registriert nebenbei, wie er
in ihren Ohren immer liedhafter klingt, je länger sie zuhört.
Eine introvertierte Sprache, eine Unterhaltung wie parallel geführte
Selbstgespräche zweier Fremder, die es vermeiden, einander in
die Augen zu sehen. Dann fällt der Name Inga

Weitere Kostenlose Bücher