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Wiedergaenger

Wiedergaenger

Titel: Wiedergaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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zu trinken, den dritten oder vierten. Das fettige Essen hat
sie müde gemacht.
    Es ist nicht mehr ganz so windig, dafür sehr kalt, höchstens
ein oder zwei Grad, die Luft riecht nach Eis, frisch, feucht und
sauber, und Liv gefällt die Vorstellung, dass sie direkt vom
Nordpol kommt und noch von keinem anderen Lebewesen vor ihr probiert
wurde. Rúnars Kaffee aus der Thermoskanne schmeckt viel besser
als der aus dem Schnellrestaurant. Zum Trinken setzt sie sich auf
einen Baumstamm. Obgleich es auf der Insel keine Wälder gibt,
ist der Strand übersät mit mächtigen Stämmen,
glattgeschliffen von der See und so weiß gewaschen, dass die
spärlichen Sonnenstrahlen reflektiert werden, die noch
gelegentlich durch die Bewölkung spuken. Treibholz. Das Wasser
schimmert wie Quecksilber. Schnee gibt es auch, ein paar armselige
Häufchen. Nicht der Rede wert.
    Abends, nach sechs. Liv hat die Westfjorde erreicht und Hólmavík,
die letzte, lächerlich winzige Ortschaft vor dem Niemandsland,
hinter sich gelassen. Dort gibt es eine Pension, in der sie auf dem
Rückweg übernachten könnte. Doch erst mal gilt es,
überhaupt ans Ziel zu kommen. Inzwischen ist ihr Mobiltelefon
ohne Empfang, was zwar keine Ãœberraschung ist, aber dennoch ein
mulmiges Gefühl auslöst. Man ist schon ziemlich daran
gewöhnt, jederzeit erreichbar zu sein und telefonieren zu
können.Außerdem ist Liv frustriert: Sie hat viel länger
gebraucht, als angenommen, und kann sich dies nicht wirklich
erklären, auch nicht mit dem kaputten Grill in Brú. Nun
müsste sie unbedingt Gas geben, verlorene Zeit gutmachen, denn
später als acht oder schlimmstenfalls neun Uhr abends will sie
bei der fremden alten Frau unter keinen Umständen auf der Matte
stehen. Zu ärgerlich, dass die Schotterpiste kaum mehr hergibt
als eine Geschwindigkeit von vierzig Stundenkilometern.
    Auch wegen des Schnees.
    Alle hatten recht mit ihren Warnungen. Liv ist wieder im Winter,
mitten im Mai. Die gebirgige Fjordlandschaft im Norden döst im
silbernen Abendlicht vor sich hin. Eine sagenhafte Gegend. Beim
ersten Fjord verschlug es ihr sekundenlang den Atem, so dramatisch
erschien von oben der Blick auf die enge Meeresbucht, die sich,
umfasst von steilen Hängen, tief hinein ins Land gefressen hat,
die schwarzen Basalttafeln gezuckert, Eisformationen am Strand.
Danach folgte ein zweiter Fjord wie der erste, ein dritter, ein
weiterer – und die Begeisterung wich dem Gefühl, schon
wieder kein Stück vorangekommen zu sein. Zumal ihren Fahrkünsten
einiges abverlangt wird, denn die Piste schlängelt sich oft hoch
über der See in Serpentinen die zerklüftete Küste
entlang. Zwar wurde offenbar regelmäßig geräumt, doch
es bleibt kaum Platz für ein so großes Auto wie den Jeep,
am Rand zur Bergseite hin türmt sich eine Mauer aus beiseite
geschobenem Schnee. Rechts der Abgrund. Sie versucht, nicht an
Gegenverkehr zu denken. Zum Glück kommt keiner. Und die Reifen
haben festen Halt.
    Liv gähnt und trinkt im Fahren den letzten Schluck Kaffee aus
der Thermoskanne. Er ist längst kalt. Wie viele Stunden sind
vergangen, seit Rúnar ihn für sie gekocht hat? Vielleicht
sieben. Es könnten genauso gut Tage sein. So hoch im Norden
macht das keinen Unterschied, der komplette eisige Frühling ist
ein einziger langer Tag, wie es scheint, mit dämmrigen
Abschnitten, aber ohne Nacht. Einmal passiert sie eine Siedlung, im
Ortskern rottet eine Fischfabrik vor sich hin.Ansonsten nichts als
Natur.Überwältigend.Aufreibend in ihrer Erhabenheit.
    Liv kommt aus dem Gähnen nicht mehr raus. Sie fühlt sich
schläfrig und schwer, als würde das Blut in ihren Adern auf
mysteriöse Weise dicker und dabei schwerer und schwerer werden.
Je mehr Kaffee sie getrunken hat, desto schlimmer wurde es.
    Â»Reiß dich zusammen«, sagt sie und schlägt
mit der flachen Hand aufs Lenkrad.
    Zu allem Ãœberfluss fällt jetzt auch noch Schnee. Zuerst
weißes Puder, auf die Scheibe gehaucht, kein Grund, überhaupt
die Wischer zu betätigen. Dann Graupel, Hagel und zuletzt satte
Flocken, fast handflächengroß. Nichts ist so ermüdend
wie das Fahren bei Schneefall, stellt Liv fest.Als würde sie in
einen Tunnel hineingesogen. Trotz des niedrigen Tempos. Ein neues
Problem: Der Schotter wird rutschiger.
    So müde ist sie nie zuvor gewesen, im Leben nicht.
    Das Letzte,was sie

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