Wiedergaenger
die
Felsendinosaurier, stur wie eine Gottheit, rücken trotz der
nunmehr raschen Fahrweise kein Stück näher. Lediglich der
Schatten des Wagens, ein beständiger, flink über das
unwegsame Gelände jenseits der Straße huschender
Begleiter, bestätigt ihr, in Bewegung zu sein. Einmal schlägt
die Fahrbahn einen kuriosen Haken um eine Gruppe von Felsen, auch die
meistert der Schatten mühelos, und Liv muss daran denken, was
Ragnar über Bauprojekte erzählt hat: Es wird Rücksicht
auf Elfen genommen. Heute versteht sie das besser als noch vor zwei
Tagen in ReykjavÃk. Wer keine Nachbarn hat, denkt sich welche.
Keine Kunst, hier draußen, umgeben von so viel Schöpfung,
verrückt zu werden. Damit es ihr nicht ebenso ergeht, sollte sie
vielleicht mit jemandem reden. Zur Ablenkung. Ein Blick aufs Handy
verrät ihr, dass tatsächlich ein Netz zur Verfügung
steht. Sie versucht es bei Rúnar, erreicht aber nur die
Mailbox.Als Nächstes ist Volker an der Reihe. Er meldet sich
sofort. »Engel, zum Teufel!«
Sie lachen beide über den vertrauten Witz.
»Wo steckst du denn? Bist du in Ordnung? Hier geht alles
drunter und drüber...« Er bricht ab, wahrscheinlich in der
Annahme, dass dies nicht unbedingt die Art Information ist, die sie
augenblicklich gern hören möchte,und fährt dann fort:
»Aber nur das übliche Chaos, du weißt schon, nichts,
worüber du dir Sorgen machen müsstest.Und bei dir alles
klar? Ist bestimmt kalt dort oben. Hast du eine Spur von Tönges?«
Seine Frage: reine Höflichkeit. Er rechnet nicht mit einem
Erfolg ihrer Mission, das ist zu hören, weshalb Liv aus purem
Trotz bejaht. »Ja, es läuft bestens. Ich habe gestern
einen ziemlich vielversprechenden Tipp bekommen. Er könnte sich
auf einem Bauernhof im Nordwesten des Landes aufhalten. Bin gerade
auf dem Weg dorthin.«
»Ach ja? Das ist ja ein Ding.« Seine Stimme trieft vor
Zweifel.
Liv macht sich Mut: »Stell dir vor, ich komme dort an,
klingele, Tönges macht die Tür auf, und da bin ich.«
Unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Irgendwo muss er ja
sein.
Volker, sehr besorgt: »Was machst du, wenn er dich überhaupt
nicht sehen will?«
Eine berechtigte Frage. Liv schluckt trocken. »Dann sage ich
ihm die Meinung und fahre wieder.«
»Bist du allein unterwegs?«
»Natürlich.« So natürlich ist es nicht,
schließlich gibt es jetzt Rúnar in ihrem Leben, aber
davon braucht Volker nichts zu wissen. Noch nicht. Es wird ihn
freuen, selbst wenn nichts daraus wird.
»Sind die Straßen gefährlich?«
»Nein.«
»Pass auf dich auf.«
»Ich sagte doch, die Straßen sind nicht gefährlich.«
»Hab ich gehört. Pass trotzdem auf. Wir brauchen dich hier
noch.«
»Versprochen.«
Sie legen auf. Liv, gerührt über Volkers Sorge, fühlt
sich der Einöde nach dem Gespräch besser gewachsen, weniger
allein. Damit gibt sie sich zufrieden und entscheidet sich dagegen,
auch noch bei Aaron anzurufen, obgleich sie seine Stimme gern hören
würde. Er ist wahrscheinlich mit seinen Freunden zusammen, mit
Maria. Liv will vermeiden, dass sie ihm peinlich ist, so wie einst
ihre Eltern ihr.
Sie hängt faden Erinnerungen nach, bis sie merkt, dass sie
erstens friert und zweitens dringend zur Toilette muss. Weit und
breit keine Aussicht auf Sichtschutz.Also einfach anhalten am
Straßenrand. Liv steigt aus. Gegenwind. Und was für einer.
Eisig und mindestens Stärke acht, dabei unsichtbar, weil es
keine Blätter und Zweige zum Umherwirbeln gibt.Auf dem Boden
kreisen Miniaturtornados aus feinstem schwarzem und rötlichem
Staub, die sie hinter dem Steuer nicht bemerkt hat. Da zieht
vielleicht ein Sturm auf, und sie fährt mitten hinein und nimmt
nicht das Geringste davon wahr. Obwohl sie sich im Windschatten des
Jeeps hinhockt, wird sie beim Pinkeln fast von der Böschung
gefegt und kann nicht verhindern, dass ihre Wanderschuhe etwas
abbekommen. Wenigstens trägt sie ausnahmsweise nicht ihre
geliebten Chucks.
Halb vier nachmittags. Verspätetes Mittagessen in einer
Gemeinde namens Brú, die aus einigen weit verstreut liegenden
Höfen,einer Tankstelle und einem Schnellimbiss besteht. Liv muss
fast eine halbe Stunde auf ihren Hamburger warten, der Grill streikt
und muss repariert werden, als Entschädigung ist der Kaffee
umsonst, ein öliges Gesöff. Zu
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