Wiedersehen in den Highlands - Roman
fragte Tom.
»Nein«, antwortete Henry. »Morgen – am frühen Nachmittag.«
Bald nach dem Abendessen waren Tom und Henry hinter den Vorhang gegangen, um sich zu dem alten Mann zu setzen. Betsy hatte kein Wort ihrer Unterhaltung verstehen können und hatte sich schließlich zu Janet ins Bett gelegt. Aber irgendetwas lag in der Luft, irgendetwas, das nicht nach Verzweiflung roch. An diesem Abend war die Stimmung der Jungen still und düster. Nur die geschwätzige Janet schien davon gar nichts mitzubekommen.
Als das Mädchen einen Arm um ihre Taille legte, ließ Betsy es anfangs geschehen, doch als Janet ihr sanft ins Ohr blies, wälzte sie sich herum und fuhr sie an: »Was ist denn los mit dir? Hast du Flöhe?«
»Ich wünschte, ich wäre mehr wie du, Betsy.« Janets Stimme klang wehmütig.
»Ach, da wünschst du dir nicht viel.«
»Wenn ich eine Figur wie du hätte, dann hätte ich längst einen Mann«, sagte Janet. »Dein Vetter ist ein großer, gut aussehender Bursche, hat er ...?«
»Nein, hat er nicht.«
»Ich frage mich, ob es wehtut.«
Betsy bohrte einen Ellenbogen ins Kissen. »Wie kommst du denn jetzt darauf, Janet?«
»Daddy glaubt, dass du Mr. Rankines Hure warst«, kicherte Janet. »Das habe ich ihn damals sagen hören, als du zu uns gekommen bist.«
»Hure, ach, ja? Nun, ich bin niemandes Hure, das kann ich dir versichern.«
»Aber Mr. Rankine hat ihn dir reingesteckt, stimmt’s?«
»Das geht dich einen Dreck an«, fuhr Betsy auf. »Was für ein Recht hast du, über solche Dinge zu reden, während dein Vater im Zimmer nebenan im Sterben liegt? Hast du nichts anderes im Kopf als das, was Männer mit Mädchen so anstellen?«
»Ich weiß, was Tom mit dir anstellen würde, wenn er die Gelegenheit dazu hätte.«
»Tom ist in eine andere verliebt.«
»Aye, Rose Hewitt. Und sie wäre auch nicht die Erste«, sagte Janet. »Aber in der Zwischenzeit wird er sich nehmen, was er kriegen kann, und das ohne irgendwelche Gewissensbisse. Ich glaube, er hat dich hierhergebracht, weil Johnny Rankine ihm erzählt hat, du seist leicht zu haben.«
Betsy konnte sich nur noch mühsam beherrschen. »In zwei Tagen wird Mr. Hewitt diese Farm und dieses Cottage an sich reißen, und ihr werdet alle ins Arbeitshaus kommen. Ich werde wenigstens ein Zuhause haben, in das ich zurückkehren kann, und einen Mann, der mir einen Lohn bezahlt.«
»Wenn Daddy nicht mehr ist«, erklärte Janet selbstgefällig, »dann wird Henry eine bessere Farm für uns finden, und ich werde fort von diesem verdammten Hügel kommen und draußen in der Welt sein. Er liebt mich nicht, weißt du. Er liebt nur seine kostbaren Söhne. Egal, was für Gemeinheiten sie anstellen, er verzeiht ihnen immer. Mir verzeiht er nie etwas.«
»Gott, bist du herzlos!«, murmelte Betsy.
Aber sie wusste, dass ihr eigenes Leben fast ebenso armselig war wie Janets. Sosehr sie es auch beschönigte, sie war kaum mehr gewesen als Johnny Rankines Hure. Sie war mit der Hoffnung nach Hawkshill gekommen, Tom Brodie in eine Ehe zu locken. Und morgen oder übermorgen würde sie zurück zum Haus ihres Vaters und zu John Rankines Kuhstall geschickt werden, und was immer sie über die Liebe gelernt hatte, würde hinter ihr liegen wie Blätter im Staub.
»Was ist das denn?« Janet richtete sich kerzengerade auf. Schluchzen klang aus der Küche zu ihnen herüber. »Ist er von uns gegangen? Ist mein Daddy von uns gegangen?« Dann kletterte sie zu Betsys Erstaunen aus dem Bett, stürzte in die Küche und rief: »Daddy, Daddy, geh nicht von uns, geh nicht von uns! Verlass mich nicht!«
Am nächsten Morgen ging Tom nicht aufs lange Feld hinaus. Betsy wurde losgeschickt, um Janet zu helfen, den Kuhstall auszumisten. Der alte Mann war noch immer völlig still und ruhig. Er hatte Agnes’ Aufmerksamkeiten ohne Protest über sich ergehen lassen und sich von Tom sogar ein paar Schlückchen Milch mit Brot einflößen lassen. Niemand erwähnte, dass heute der letzte Oktobertag war und dass morgen früh Neville Hewitt zu ihnen kommen würde, in Begleitung eines Gerichtsdieners, der einen Zwangsräumungsbefehl schwenkte.
Es ging auf Mittag zu, als Agnes Betsy und Janet aus dem Kuhstall rief. Tom und Henry saßen bereits bei ihrer Suppe am Küchentisch. Der Vorhang vor dem Bett war zugezogen. Betsy aß ihre Suppe schweigend. Sobald die Mahlzeit beendet war, erhob sich Tom und verließ das Zimmer.
Mit gesenktem Blick sagte Henry: »Betsy, kannst du einen Wagen lenken?«
»Aye, ich
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