Wiedersehen in Harry's Bar

Lied geschrieben.«
    »Im Ernst?«
    »Ja. Es ist echt gut geworden. Fehlt nur noch die Bass-Begleitung.«
    »Kein Problem, Mann.« Trotz allem anderen spürte ich plötzlich wieder die Begeisterung, die unser gemeinsames Songwriting immer begleitet hatte, dieses Gefühl, als hätten wir uns irgendwie gesucht und gefunden, lange bevor einer von uns auch nur ahnen konnte, was das wirklich bedeutete. »Bass-Begleitung, geht klar, Mann.«
    »Wa-warte mal.« Norries Augen wurden schmal. »Wo ist dein Ba-Bass?«
    »Den hab ich irgendwie … verloren.«
    » Was? «
    »Hör mal, wenn ich dir auch nur die Hälfte von dem Scheiß erzähle, der mir in den letzten vierundzwanzig Stunden passiert ist …«
    »Schon gut«, sagte eine Stimme. »Da lässt sich bestimmt eine Lösung finden.«
    Ich drehte mich um, und dort stand George Armitage.
    *
    In Fleisch und Blut war Armitage genauso höflich und charmant, wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte, wenn wir miteinander telefoniert hatten. Er war Mitte Fünfzig, groß und sportlich, eine fast südeuropäisch getönte Haut, auf der sich nur um die hellblauen Augen ein paar kunstvoll verteilte Falten zeigten. Alles an ihm wirkte gleichzeitig glatt und wahrhaftig, ein gewisser Duft nach Wildleder und Privatflugzeug umgab ihn, haftete kaum wahrnehmbar in seiner Kleidung. So also riechen eine Milliarde Dollar, dachte ich.
    Die Leibwächter links und rechts von ihm verhielten sich ganz still, ihre Augen waren hinter verspiegelten Sonnenbrillen verborgen. Ich taufte sie fast auf der Stelle auf die Namen Stock und Steif.
    Nachdem Armitage sich kurz der Band und Linus vorgestellt hatte, wobei Letzterer es tatsächlich fertigbrachte, wenigstens einmal keinen ätzenden Kommentar von sich zu geben, führte Armitage Paula und mich quer über den Platz zu dem kleinen Café, wo ein Tisch auf uns wartete. Stockund Steif folgten uns mit respektvollem, aber durchaus auffälligem Abstand.
    »Ich will dich nicht lange aufhalten«, sagte Armitage. »Ich weiß, dass ihr noch Soundcheck machen müsst.«
    »Schon in Ordnung.«
    »Wie gefällt dir die Stadt?« Er spreizte gebieterisch die Hände, eine Geste, die das Café, die Basilika und den gesamten Markusplatz voller Tauben hinter uns umfasste, als hätte er das alles nur für uns aus dem Nichts herbeigezaubert. »Mein absoluter Lieblingsplatz auf dieser Welt. Venedig ist wie eine schöne Frau, deren Gunst zu gewinnen mir nie so recht gelingen wollte.«
    »Eine tolle Stadt«, sagte ich.
    »Ich finde, wir sollten das feiern.« Er gab dem Kellner ein Zeichen. »Villa Antinori, einen 95er.«
    Der Kellner verschwand, und Armitage richtete seine volle Aufmerksamkeit auf mich. »Perry, dir kommt es bestimmt vor, als würde sehr viel sehr rasch über dich hereinbrechen, aber inzwischen weißt du wohl, wie sehr ich eure Musik mag, und ich finde, dass es höchste Zeit ist, dass wir uns über das erste Album von Inchworm unterhalten.«
    »Okay.«
    »Ich möchte, dass ihr sofort im Anschluss an diese Tournee ins Studio geht, wenn das möglich ist. Das heißt, ihr fliegt sofort nach L. A. Ihr Jungs könnt euch dort bestimmt ein bisschen erholen, und wenn alles soweit klar ist, fangt ihr sofort mit den Aufnahmen an. Was meinst du dazu?«
    »Hört sich an wie ein Traum.«
    »Wunderbar.« Armitage lächelte und warf Paula einen Blick zu. »Du sorgst dafür, dass bei Sunset Sound genügend Zeit gebucht wird, ja, meine Liebe?«
    »Bin schon dabei«, sagte Paula. Sie zog ihr iPad aus der Handtasche und fing an, etwas auf dem Display einzutippen.
    Der Wein kam, und Armitage goss jedem von uns ein Glas ein.
    »Damit wären wir uns einig«, sagte er und erhob das Glas. »Auf Inchworm und die großartige Zukunft, die auf diese Band wartet.«
    Ich ergriff mein Glas, und in diesem Augenblick sah ich Gobi durch die Menschenmenge auf dem Platz auf uns zukommen. Sie hatte die Schrotflinte in der Hand.

21
    »Sweetest Kill«
    – Broken Social Scene
    Wenn ich an diesen Augenblick zurückdenke, wundert es mich immer, wie lange ich zum Reagieren brauchte. Alle anderen schienen sich vor mir in Bewegung zu setzen – Paula, die Kellner, sogar die anderen Gäste des Cafés.
    Gobi knipste die Leibwächter aus zehn Metern Entfernung aus. Ich hörte es zweimal kurz und ohrenbetäubend knallen – PENG, PENG –, und ich sah die beiden in entgegengesetzter Richtung nach hinten wegfliegen und links und rechts vom Tisch aufs Pflaster aufschlagen. Was ich dann sah, konnte eigentlich