Wiedersehen in Harry's Bar
viele Päckchen Zigaretten ich auf dem freien Markt wohl wert war.
Als ich schließlich wieder Luft holen konnte, hörte sich meine Stimme schwach und piepsig an wie ein asthmatisches Keuchen aus einem verstopften Gartenschlauch. »Ich kann nicht ins Gefängnis«, sagte ich. »Mein Vater –«
»Ich weiß.«
»Was machen wir jetzt?«
»Zuallererst müssen wir hier raus.«
»Und dann?«
Paula runzelte die Stirn. »Gut möglich, dass uns Armitage helfen kann.«
Ich sah sie an und gestattete mir einen sehr, sehr kleinen Funken Hoffnung. »Wie denn?«
»Zum einen ist er Milliardär. Leute wie er haben stets eine Horde Anwälte um sich. Und aus irgendeinem Grund, Stormaire, hat er dich ins Herz geschlossen.« Sie lächelte ein bisschen. »Er lässt auf keinen Fall zu, dass Inchworm zu den Aufnahmen ihres ersten Albums ins Studio geht, während ihr Bassist und Songwriter in einer Gefängniszelle irgendwo in Venedig verrottet, oder?«
»Also, was jetzt?«
»Wir gehen irgendwohin und verhalten uns unauffällig.« Sie schaute auf ihre Uhr. »Noch etwas mehr als sechs Stunden bis zu dem Termin mit ihm heute Abend. Und dann müsst ihr nichts anderes tun, als einen dermaßen genialen Auftritt hinlegen, dass Armitage alles tut, damit du nicht in den Knast kommst.«
»Ich muss den Jungs sagen, dass ich hier bin.«
Paula schüttelte den Kopf. »Nichts gegen Linus, aber zu diesem Zeitpunkt können wir seine besondere Note schriller Rhetorik überhaupt nicht gebrauchen. Mit ihm beschäftigen wir uns noch früh genug.«
Ich wusste genau, was sie meinte. »Alles klar, aber –«
»Eins nach dem anderen.« Sie sah mich wieder mit einer hochgezogenen Augenbraue an. »Wo sind eigentlich deine Klamotten?«
»Die hab ich seit gestern Abend nicht mehr gesehen.«
»Du läufst seit gestern Abend nackt durch die Gegend?«
»Abgesehen von einem Hotelbademantel und einem geklauten Regenmantel, ja«, antwortete ich.
»Ich schicke den Empfangschef mit meiner Kreditkarte los.« Paula schüttelte den Kopf, aber sie lächelte immer noch. »Ehrlich gesagt, Stormaire, als ich dich so am Bett gefesselt gesehen habe, ist es mir schon ein bisschen kribbelig geworden.«
»Das freut mich«, sagte ich. »Denn so, wie du mich angesehen hast, dachte ich schon, du würdest gleich etwas anderes abschneiden.«
»Spinnst du? Nachdem ich so lange gewartet habe? Es würde mir vielleicht mehr fehlen als dir.«
»Das bezweifle ich.«
Sie lächelte, dann faltete sie das Lächeln zusammen und verstaute es irgendwo, war auf einmal wieder ganz geschäftsmäßig. Es war verblüffend, wie sie das machte, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie nicht auf meiner Seite war.
»Eins würde mich noch interessieren?«
Paula hob den Blick. »Was denn?«
»Woher wusstest du, in welchem Zimmer ich bin?«
»Du hast unter dem Namen James Morrison eingecheckt, Perry. Da hättest du auch gleich ein Schild an die Tür kleben können.«
»Stimmt.«
»Also, los jetzt«, sagte sie und warf mir einen lüsternen Blick zu. »Wir müssen dir ein paar Sachen zum Anziehen besorgen, ehe ich den schwachen Rest meiner Willensstärke verliere.«
19
»Busy Child«
– The Crystal Method
In einer Stadt wie Venedig behaupten die meisten etwas gehobeneren Hotels, sie seien irgendwann einmal ein Palast gewesen. Aber es gab Paläste und es gab Paläste, und das Gritti, in dem wir laut Paula ein Zimmer hatten, war ein mit Seidentapeten und Marmorböden ausgestattetes, mit Gold verschnörkeltes Wunder der Alten Welt, was nicht ganz zu dem passte, was ich mir unter »unauffällig verhalten« vorgestellt hatte. Der abgerissene Junge, der mich aus den Spiegeln in der Eingangshalle anschaute, sah nicht so aus, als gehörte er hierhin, aber andererseits sah er auch nicht so aus, als würde er sonst irgendwohin gehören.
»Kannst du dir das leisten?«, murmelte ich und sah mich in der fast leeren Halle um.
»Armitage hat hier eine ständige Suite.«
»Ist er denn schon hier?«
»Wir treffen uns später mit ihm, zum Abendessen. Ganz ruhig, ja? Warte dort bei den Fahrstühlen auf mich.«
Während Paula eincheckte, verzog ich mich hinter eine Säule und versuchte unauffällig auszusehen. Ich hatte enge europäische Jeans und ein Venedig-T-Shirt an, dazu eine Basecap plus Sonnenbrille. Über eine Schulter hatte ich den Kleidersack geschlungen, den mir Benito vom Empfang der Pensione Guerrato noch besorgt hatte, bevor wir uns aus dem Staub machten.
Als Paula mit dem
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