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Wiedersehen in Harry's Bar

Wiedersehen in Harry's Bar

Titel: Wiedersehen in Harry's Bar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Schreiber
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ich hätte gerade mehrere Stunden in einem luxuriösen Hotelzimmer mit einer wunderschönen Frau verbracht und die gesamte Situation letztendlich immer noch als Jungfrau überstanden, ich hätte jeglichen Zweifel einfach übersprungen und mich sofort in abgrundtiefe Verzweiflung gestürzt. Aber genau so war es gelaufen. Obwohl wir uns halbnackt auf den Laken gewälzt hatten, war es Paula gelungen, einen kühlen Kopf zu bewahren.
    Alles in Ordnung, Perry, hatte sie gesagt. Ich möchte nicht, dass du dich zu etwas gezwungen fühlst, wozu du noch nicht bereit bist, besonders dann, wenn du mir unbedingt etwas beweisen willst.
    Ich hätte sie beinahe gefragt, was ich denn ihrer Meinung nach beweisen wolle, aber dann wurde mir klar, dass ich es bereits wusste.
    Letztendlich wussten wir es wohl beide.

20
    »Darklands«
    – The Jesus and Mary Chain
    Wir gingen in der Abenddämmerung zwischen den fahrbaren Masken- und T-Shirt-Ständen über den Markusplatz. Meine neuen Schuhe drückten ein bisschen. Tauben flatterten auf und schwirrten so dicht um unsere Köpfe, dass ich mich fast ducken musste, um nicht von ihnen gestreift zu werden. Als wir an der Markuskirche vorbeigingen, zeigte ich auf den Uhrenturm, auf dem zwei bronzene Männer ihre Klöppel schwangen und die volle Stunde verkündeten.
    »Diese mechanischen Figuren nennt man Mohren«, sagte ich, weil mir ein Abschnitt aus einem der Reiseführer einfiel, die ich im Zug gelesen hatte. »Angeblich hat einer von ihnen im 17. Jahrhundert einen arglosen Arbeiter vom Dach in den Tod geschubst. Das erste offiziell von einem Roboter verübte Attentat.«
    Damit brachte ich Paula zum Lächeln. »Du bist ein guter Stadtführer, Stormaire. Wenn diese ganze Rock’n’Roll-Geschichte sich doch nicht bezahlt macht …«
    »Meinst du wirklich, dass Armitage mir dabei helfen kann, die Sache auszubügeln?«
    »Das werden wir ja sehen.«
    Ich holte tief Luft. Sie ließ den Blick über den Platz schweifen, und ich bemerkte einen entrückten Ausdruck in ihren Augen, den ich noch nicht kannte.
    »He«, sagte ich. »Alles in Ordnung?«
    »Ich habe ein Foto, auf dem ich direkt dort drüben auf den Schultern meines Vaters sitze.« Paula zeigte auf den Dom, auf eine Stelle gleich neben den zusammengeklappten Laufstegen, die auf dem Platz für Zeiten des aqua alta, des Hochwassers, bereitgehalten werden.
    »Ich wusste gar nicht, dass du schon mal hier gewesen bist.«
    »Dad ist in den frühen Neunzigern mit den Stones hier gewesen. Er hat mich mitgenommen. Es war ziemlich abgefahren, damals.«
    Ihre melancholische Stimmung erwischte mich unvorbereitet. »Ihr seht euch immer noch regelmäßig, stimmt’s?«
    »Jetzt ist alles anders.« Sie zog an meiner Hand. »Komm schon. Wir sind spät dran.«
    *
    Vor einem Bistro, das auch Tische draußen auf dem Pflaster stehen hatte, machten wir halt. Schon beim Näherkommen hatte ich Linus vor dem Eingang auf und ab marschieren und so heftig an einer Zigarette ziehen sehen, dass man sich nicht gewundert hätte, wenn sie in zwei Zügen aufgeraucht gewesen wäre. Als er mich sah, schnippte er den Stummel weg.
    »Gott sei Dank, Perry! Wo hast du bloß gesteckt?« Sofort richtete er seine Aufmerksamkeit auf Paula. »Was hast du mit ihm gemacht?«
    Paula seufzte. »Freut mich auch, dich zu sehen, Linus. Wo ist der Rest der Band?«
    »Sie sind drin und machen Soundcheck. Genau dort solltest du jetzt auch sein, Perry.«
    Ich ging rasch hinein und fand Norrie, Sasha und Caleb auf der Bühne beim Aufbau der Anlage. Das heißt, Caleb futterte ein Riesenstück Pizza und Sasha flirtete mit einer umwerfend hübschen Bedienung, und das in einer Sprache, die aus nichts als angedeuteten Gesten und viel Lächeln zu bestehen schien. Meine Abwesenheit hatte sie offensichtlich nicht besonders beunruhigt. »Was geht, Penner?«, sagte Sasha. »Was ist denn passiert? Wir dachten schon, du bist in einem Kanal ersoffen oder so.«
    Norrie blinzelte mir verschwörerisch zu, und als er nahe genug war, raunte er mir zu: »Na u-und?«
    »Was, na und?«
    »Du wa-weißt schon, Stormaire. Ha-hast du sie gefufunden, oder was?«
    »Alter …«
    »D-du hast sie gefunden, stimmt’s?« Er schüttelte den Kopf. »De-deshalb hast du uns im Sti-Stich gelassen.«
    » … das ist eine ziemlich verrückte und ziemlich lange Geschichte, und –«
    »Sch-schon gut. Macht ja ni-nix. Weißt du wa-was?« Als er mich wieder ansah, grinste er, und auf einmal war sein Stottern weg. »Ich hab ein neues

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