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Wiedersehen in Stormy Meadows

Wiedersehen in Stormy Meadows

Titel: Wiedersehen in Stormy Meadows Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
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nichts gewesen. Er war dir total egal! Stimmt doch, oder?«
    Ich stelle mein Weinglas ab wie ein belastendes Beweisstück. »Er war mir überhaupt nicht egal«, widerspreche ich. »Dein Vater war mir wichtiger als alles auf der Welt.«
    »Wie kannst du dann einfach so weiterleben? Wie kannst du so tun, als wäre alles so wie immer?«
    Ich brauche einen Moment, um die richtigen Worte zu finden. Als ich Cas die Antwort gebe, ist mir, als würde ich sie selbst zum ersten Mal hören.
    »Verstehst du das nicht? Entweder lebe ich so weiter wie immer, oder ich lebe gar nicht weiter. So einfach ist das. Als dein Vater gestorben ist, habe ich mir gewünscht, ich wäre auch gestorben.«
    »Na, dann willkommen im Club«, faucht Cassie und stürmt hinaus in den Flur. Sie schlägt die Tür so heftig hinter sich zu, dass die Gläser auf dem Tisch beben. Erschrocken sehen Petra und ich uns an.
    Es ist wahr – ich habe mir wirklich gewünscht, ich wäre mit Rob gestorben, und das erschreckt mich. Es war nicht nur ein Gedanke, sondern am liebsten hätte ich mir eine Pistole in den Mund gesteckt und abgedrückt. Allein meine Feigheit hielt mich davon ab. Was ich eigentlich fürchtete, weiß ich nicht genau. Den Tod nicht, so viel ist sicher. Die Strafe Gottes? Möglich. Schmerzen? Nein, vor Schmerzen habe ich auch keine Angst. Nichts kann schmerzhafter sein als diese Qual, die wie ein Krebsgeschwür in mir wuchs, genährt von dem Wissen, dass ich Rob nie wiedersehen und nie wieder berühren würde, dass ich nie wieder den köstlichen Duft seiner Haut riechen würde.
    Aber ich habe diese Gefühle, so gut ich konnte, unterdrückt und weitergemacht. Ich musste weiterleben wie immer, wie normal, obwohl es für mich keine Normalität mehr gab.
    Den ganzen Samstag lang weicht Cassie mir aus. Sie kommt weder zum Frühstück noch zum Mittagessen herunter und taucht erst am Abend aus ihrem Zimmer auf, nachdem ich mich aufgerafft habe, aus dem Haus zu gehen, um ein paar Zeitschriften zu besorgen. Als ich zurückkomme, höre ich den Fernseher durch die geschlossene Wohnzimmertür.
    Der Teller mit Essen, den ich für Cas in den Kühlschrank gestellt habe, steht jetzt halb leer gegessen auf dem Küchentisch, nachdem er offensichtlich eine Zwischenlandung in der Mikrowelle gemacht hat. Die Tür des Gerätes steht offen, das Licht blinkt mich an, und innen drin sind Möhren und Bratkartoffeln explodiert, weil Cassie beim Erhitzen den Teller nicht richtig abgedeckt hat. Auf der Arbeitsplatte, nur einen halben Meter vom Mülleimer entfernt, liegt ein leerer Saftkarton, und daneben steht ein fast leeres Glas. Ich räume die Küche auf und lasse mich dann am Küchentisch nieder, ärgerlich auf mich selbst, weil ich zu feige bin, um die Wohnzimmertür zu öffnen und mich zu Cassie zu setzen. Es ist nur eine Tür, aber sie könnte ebenso gut eine Grenze zwischen zwei verfeindeten Staaten sein, an der Soldaten mit Gewehren und bissigen Schäferhunden patrouillieren.
    »Angsthase«, schelte ich mich und greife nach den Zeitschriften.
    Ich brauche anderthalb Stunden, um meinen Informationshunger zu stillen. Dann sitze ich noch lange in der Küche und gönne mir ein Glas Wein. Als die Uhr an der Wand mir zeigt, dass es fast elf ist, nehme ich endlich all meinen Mut zusammen und drücke die Wohnzimmertür auf.
    Das einzige Licht im Raum stammt von den flackernden Bildern auf dem Fernsehschirm. Der Ton ist leise gestellt, die Fernbedienung hält Cassie noch in der Hand. Robs Tochter liegt auf dem Sofa und schläft tief und fest. Ich sehe Tränenspuren auf ihren blassen Wangen, und wie zum Trost drückt sie sich mit beiden Armen ein großes Samtkissen an die Brust.
    Lange Zeit sitze ich da und schaue meiner Stieftochter beim Schlafen zu, lausche auf die schwachen Seufzer ihres Atems, auf das leise Gemurmel des Fernsehers und das gelegentliche Brummen eines vorbeifahrenden Wagens. Cassie rührt sich nicht, und schließlich schalte ich den Fernseher aus, hole die Bettdecke aus dem Gästezimmer und decke sie damit zu.
    Als ich am nächsten Morgen erwache, ist Cassie vom Sofa verschwunden, und ihre Zimmertür ist wieder fest verschlossen.
    Am Montagmorgen rufe ich Elaine an und teile ihr mit, dass ich ein paar Tage lang zu Hause arbeiten werde. Dann fahre ich zum nächsten Supermarkt.
    Wer Lebensmittel einkauft, kann dem Weihnachtsrummel nicht entrinnen. Obwohl wir noch nicht mal Dezember haben, beleidigt ein zehn Meter hoher Weihnachtsbaum meine Augen, als ich auf

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