Wiedersehen in Stormy Meadows
Abtrocknen.
Um Viertel vor acht sitzen wir im Land Rover und fahren ins Dorf. Cas und ich teilen uns eng aneinandergedrückt den Beifahrersitz. So viel Körperkontakt haben wir noch nie gehabt, und ich spüre, wie Cas sich ganz steif macht, aber sonst bliebe nur die Möglichkeit, auf einem umgedrehten Eimer auf der Ladefläche zu hocken. Da würde man bei jeder Kurve von einer Seite auf die andere geschleudert, so wie die leeren Getränkedosen, die hinten herumrollen, denn meine Mutter brettert über die Straßen wie ein Grand-Prix-Fahrer.
Von Stormy Meadows bis zum Pub sind es nur etwa drei Meilen, aber die Fahrt scheint eine Ewigkeit zu dauern, blaue Flecken inbegriffen. Endlich überwinden wir eine letzte Hügelkuppe, fahren eine Küstenstraße hinunter und biegen auf einen Parkplatz ab. Mit Hilfe der Handbremse parkt Laura ihr Gefährt ein, dann steckt sie den kleinen Schraubenzieher in die Tasche, den sie immer als Zündschlüssel benutzt, und lächelt Cas und mir fröhlich zu. Wir lösen die verkrampften Hände von den Griffen und beginnen wieder zu atmen.
Der Parkplatz wurde in den Rand der Steilküste hineingebaut. Auf einer Seite bildet eine aufragende Felswand die Begrenzung, auf der anderen fallen die Klippen senkrecht zum Meer ab. Als ich aussteige, höre ich die Wellen tosend gegen das schwarze Vulkangestein unter uns krachen, und ich schmecke salzige Gischt. Wir folgen meiner Mutter über den abschüssigen Parkplatz zu einem Fußweg, der sich um eine Felsnase windet und sich dann in der Dunkelheit verliert.
Während meine Mutter vor uns her marschiert, pfeift sie fröhlich einen Song von Frank Sinatra. Ab und zu schaut sie sich um und vergewissert sich, dass wir ihr noch folgen und nicht ausgerutscht und zwanzig Meter tief in den brodelnden Ozean gestürzt sind. Ich bin erleichtert, als endlich ein hell erleuchtetes Gebäude vor uns auftaucht. Im Hintergrund, etwa eine halbe Meile Luftlinie entfernt, funkeln die Lichter von Trenrethen.
Das Ship Inn war einst das Haus des Hafenmeisters. Es ist weiß getüncht, hat ein Schieferdach, und an den stolzen sechzehn Fenstern prangen grüne Fensterläden. Das Gebäude schmiegt sich über einem kleinen Naturhafen in die Felsen, und trotz der auffälligen Warnschilder am Rand der Terrasse fällt hin und wieder ein betrunkener Gast den Atlantikwellen zum Opfer.
Bevor wir hineingehen, bleibe ich stehen und schaue auf das dunkle Wasser hinaus. Etwa eine halbe Meile vom Land entfernt erahne ich eine Insel aus Vulkangestein, die in der Finsternis bedrohlich wirkt.
»Atemberaubend, oder?«, höre ich Lauras Stimme dicht hinter mir. »Im Reiseführer steht, dass das hier einer der schönsten Aussichtspunkte in ganz Cornwall ist. Orlaithe hat auch Gästezimmer, und die sind immer ausgebucht.«
Hank und Orlaithe, berichtet meine Mutter, wohnen in einer Wohnung im zweiten Stock des Ship Inn, oben unter dem Dach. Wir treten aus der Kälte des Abends in den warmen Gastraum mit seinem Kaminfeuer, dem rotgemusterten Teppichboden und dem dunklen Holz. Ein Sammelsurium von Gegenständen erinnert an die Seefahrt: Ausgediente Sextanten, Steuerräder von Schiffen, Anker und präparierte Fische in Gläsern schmücken die Wände. Sogar an den Deckenbalken hängt ein Netz, in dem Plastikfische und ein paar Muscheln und Seesterne gefangen sind.
Ich weiß nicht, wie ich mir Hanks Frau vorgestellt habe. Hank scheint nicht gern zu sprechen, außer, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt.
Aber wenn Hank ein Stummfilmstar ist, ist seine Frau Mae West. Sie hat sich in ein leuchtend rotes Kleid gezwängt, aus dessen tiefem Ausschnitt ihr üppiger Busen hervorquillt. Schon bald wird mir klar, dass Orlaithe Doyle so gesprächig ist, wie ihr Mann wortkarg. Sie ist eine temperamentvolle, rothaarige Irin aus County Cork, sieht aus wie vierzig, muss aber älter sein. Ihre Haut ist so weiß und weich wie dicke Sahne, sie hat riesige bernsteinfarbene Augen und Sommersprossen auf der kleinen Stupsnase.
Kaum sind wir eingetreten, da stürzt sie sich auch schon auf uns und drückt uns an ihren gewaltigen Busen, so als wären wir nicht neue Bekannte, sondern verloren geglaubte Freunde.
»Ach wie schön, dass ich euch endlich persönlich kennenlerne. Obwohl, ich habe das Gefühl, dass wir uns schon längst kennen, weil deine Mutter mir so viel über dich erzählt hat, Nat. Und diese junge Dame hier muss Cassie sein. Ihr armen Mädels. So ein Kummer. Kommt und setzt euch, ja, und trinkt einen
Weitere Kostenlose Bücher