Wiedersehen in Virgin River
eine gutherzige Frau in einer prekären Lage, und Preacher gegenüber verhielt sie sich liebevoll. Aber es war absolut möglich, dass es nicht mehr war als Dankbarkeit. Sollte es ihr je gelingen, mit der Gefahr, der sie sich gegenübersah, fertig zu werden, war damit zu rechnen, dass sie fortgehen würde. Vielleicht zurück zu einer Familie, die sie irgendwo hatte. Oder vielleicht auch an einen ganz neuen Ort.
Vorläufig aber waren sie unzertrennlich. Alle drei. Preacher hielt Paige und Christopher unter seinen schützenden Fittichen, als lauerte ganz in der Nähe eine Gefahr, die jeden Augenblick zuschlagen konnte. Waren keine Gäste in der Bar, saßen Preacher und Paige an einem der Tische und unterhielten sich oder spielten Kribbage. Und falls Christopher nicht gerade ein Nickerchen hielt, saß er dabei auf Preachers Knie. Wenn viel Betrieb war, wenn die Angler nach einem langen Tag am Virgin auf ein paar Drinks oder zum Abendessen hereinkamen, hielten Paige und ihr Sohn sich bei Preacher in der Küche auf, halfen ihm oder leisteten ihm einfach nur Gesellschaft. Sie arbeitete auch in der Bar und war offensichtlich mit ihren Aufgaben zufrieden, wobei sie ständig bei Preacher nachfragte, was sie noch tun sollte.
Preachers aufkeimende Gefühle waren offenkundig. Weniger deutlich war das, was Paige empfand. Und nie ergab sich eine Gelegenheit, wo Jack einmal unter vier Augen mit Preacher reden konnte. Natürlich war er sich auch gar nicht so sicher, was er eigentlich sagen wollte. Aber es gab da etwas, das Jack gehört hatte. Bei häuslicher Gewalt war die Sache nämlich die, dass solche Situationen womöglich gefährlicher waren als ein Krieg. Explosiv, unberechenbar, tödlich. Die Cops hatten schon oft gesagt, dass sie lieber bei einem bewaffneten Raubüberfall eingesetzt würden als bei häuslicher Gewalt. Jack wollte nicht, dass dieser Frau etwas Böses zustieß. Er mochte sie. Aber er wollte auch nicht, dass Preacher etwas Schlimmes geschah.
Es bedrückte ihn und er wollte mit seiner Frau darüber reden. „Ich bin mal kurz weg“, wandte er sich an Preacher. „Kommst du klar in der Bar?“
„Kein Problem.“
Jack ging über die Straße zur Praxis, wo er Mel und Doc dabei antraf, wie sie am Küchentisch Gin spielten. Mel hatte bereits einen netten kleinen Stapel Pennys neben ihrer Hand stehen. Als sie ihn sah, leuchteten ihre blauen Augen auf, und sie lächelte ihn an. „Wenn du mit dem Spiel fertig bist, kannst du dann mit mir einen kleinen Trip machen?“, fragte er sie.
„Wohin?“
Er zuckte die Schultern. „Bloß eine kleine Tour. Du und ich. Ausnahmsweise scheint einmal die Sonne.“
„Meinetwegen können Sie auch jetzt gleich das Spiel beenden“, meinte Doc. „Ich hab nicht ein einziges Mal gewonnen.“ Er warf seine Karten hin und stand auf.
„An Ihrem Sportsgeist müssen Sie noch arbeiten“, sagte sie ihm.
„Ich muss daran arbeiten, besser zu schummeln“, erwiderte Doc und verzog sich aus der Küche.
Mel holte ihren Mantel und ging mit Jack nach draußen. „Wohin fahren wir?“, wiederholte sie ihre Frage.
„Nur eine kleine Runde. Erzähl mir, wie war dein Vormittag?“
Sie hielten sich an den Händen, während sie zu Jacks Truck gingen, dann öffnete er die Tür für sie. Als er neben ihr saß und losfuhr, sagte sie: „Es gab nichts besonders Interessantes. Dieses andauernde scheußliche Wetter scheint die Viren auszubrüten. Jede Menge Triefnasen, Husten und Fieber. Wir brauchen die ganze Palette von Erkältungsmitteln. Ich glaube, auch bei mir ist ein Schnupfen im Anmarsch.“
„Bist du krank?“
„Nein, aber irgendwie habe ich einen dicken Kopf und ein Ohr ist zu. Ein Erkältungsmittel kann ich nicht nehmen, du weißt ja, wegen wem.“
„Vielleicht solltest du im Moment lieber nicht in einer Arztpraxis arbeiten. All diese Bazillen“, meinte er.
„Ach hör auf.“ Sie lachte und strich mit den Händen über ihren Minibauch. „Du kippst mir allmählich ein bisschen auf die überbeschützerische Seite.“
Sie verließen den Ort und fuhren dann ungefähr zehn Minuten lang in westlicher Richtung. Dann bog Jack von der Straße ab und hielt an. „Es wird jetzt holprig, der Weg ist katastrophal. Ist das okay für dich?“
„Solange ich mir nicht den Kopf oben anstoße, geht’s schon. Was gibt es denn hier?“
„Ich habe da etwas entdeckt, das ich dir zeigen will. Halt dich fest, und ich fahre langsam. Es geht bergauf.“ Und in der Tat fuhren sie immer weiter
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