Wiedersehen in Virgin River
vielleicht doch lieber noch einmal ernsthaft darüber nachzudenken, bevor er sich in diese Misere bringt.“
Sie stieß nur zischend die Luft aus, womit sie ihn, ohne es offen auszusprechen, wissen ließ, was sie von ihm hielt.
„Okay, ich habe ihm gesagt, dass es mir leidtut. Dass er recht hat und ich es bedaure.“
„Nachdem er dir den Kopf zurechtgerückt hat, nehm ich mal an …“
„Also ja. Hinterher.“
„Männer.“
„Normal sind wir im selben Team“, betonte er.
„Wenn keine Frau zwischen euch steht.“
„Das wird mir auch langsam klar.“
„Weißt du, es gibt eine kleine Regel, wenn es um Meinungen geht. Die taugen nämlich nur dann etwas, wenn dich jemand wirklich darum bittet.“
„Er hat tatsächlich so etwas gesagt wie, dass ich doch einfach die Klappe halten soll.“
„Also bitte. Wer hätte gedacht, dass Preacher so weise ist?“
Er schnitt ihr eine Fratze und drückte den Eisbeutel wieder ans Gesicht. Dabei zuckte er zusammen.
„Tut weh, hm?“
„Verdammt, der Junge hat ’nen guten Schlag.“
„Du kannst natürlich gern, so lange wie du magst, hier sitzen und dich verstecken, aber früher oder später werdet ihr euch küssen und wieder vertragen müssen. Solltest du nicht heute die Bar machen, damit er rüberfahren und den Richter treffen kann?“
„Ja, aber ich wollte ihm Zeit geben, wieder etwas runterzukommen. Wenigstens ein Auge brauche ich, mit dem ich sehen kann.“
„Oh, ich denke, wenn Preacher mehr für dich auf Lager hätte, würde er es schon geliefert haben.“
Wenig später betrat Jack die Küche der Bar und stellte fest, dass Preacher auf seinen Gruß nur mit einem finsteren Blick reagierte. Mutig ging er weiter zum Tresen. „Hey, Mann“, sprach er ihn an. „Du hast recht und ich unrecht, und ich will, dass wir wieder im selben Team spielen.“
„Bist du dir denn sicher, dass in meinem Team die Schwierigkeiten für Klein Jack nicht zu groß sind?“, fragte Preacher.
„Okay, bist du bald fertig? Denn das hier tut wirklich weh, und ich will versuchen, dich nicht jetzt gleich auf die Matte zu werfen. Ich dachte, wir könnten einfach mal darüber reden.“
„Ich wollte nur sicherstellen, dass ich mich klar ausgedrückt habe“, sagte Preacher.
„Ich hab es verstanden, Preach. Jetzt komm schon. Ich werde dich nur einmal fragen.“
Einen Moment lang schien Preacher darüber nachzudenken, dann streckte er langsam die Hand aus. Jack schüttelte sie und sagte: „Mach das nie wieder.“
„Bring du mich nicht so weit, dass ich den Wunsch dazu verspüre.“
Es dauerte nicht lange, bis Paige mit Christopher die Treppe herunterkam. „Oh, mein Gott“, rief sie, als sie Jacks Gesicht sah.
„Es ist viel schlimmer, als es aussieht“, beruhigte er sie.
„Was um aller Welt ist denn passiert?“
„Ich bin dem Hinterteil eines Esels zu nahe gekommen.“ Dann zog er aus seiner Gesäßtasche eine CD. „Mel hat mir gesagt, ich soll Ihnen das geben. Ein paar Fotos, die sie gemacht hat. Falls Sie sie brauchen. Aber sie hat auch gesagt, man sollte die Leute warnen, denn es sind sehr erschreckende Bilder. Was immer das bedeutet“, fügte er hinzu, indem er vorgab, sie noch nie gesehen zu haben. „Sie hat noch Kopien davon, also können Sie sie auch dort lassen, falls jemand danach fragt … wie zum Beispiel der Richter.“
6. KAPITEL
J udge Forrest hatte sich Grace Valley zur Heimat erkoren und war dort beim Berufungsgericht. Mit mehr als siebzig Jahren war er ein rüstiger Mann, der meist eine ernste, wenn nicht grimmige Miene trug. Für Preacher aber hielt er ein freundliches Lächeln bereit und begrüßte ihn mit Handschlag. Ihr Treffen fand nicht im Gerichtssaal statt, sondern im Büro des Richters, wo Preacher und Paige vor seinem Schreibtisch Platz genommen hatten, während Christopher von der Sekretärin im Vorzimmer betreut wurde. Judge Forrest stellte Paige einige Fragen zu ihrem Leben in Los Angeles.
Sie erklärte ihm, dass sie seit sechs Jahren mit Wes Lassiter verheiratet war, mit dem sie einen dreijähriger Sohn hatte – Christopher. Auch sei sie jetzt erneut schwanger, etwas mehr als zwei Monate. Übergriffe hatte es von Anfang an gegeben. Tatsächlich hatte er sie bereits einmal geschlagen, noch bevor sie geheiratet hatten. Während der letzten zwei Jahre war es dann zunehmend schlimmer geworden und schrecklich brutal. „Aber von Anfang an hätte ich es kommen sehen müssen“, erklärte sie. „Schon als wir noch gar nicht
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