Wiegenlied Roman
von mir.«
Es ließe sich hübsch erzählen.
Ein Dienstmädchen nahm Elsa den Umhang ab, und sie entgegnete der hingerissenen Neugier des Mädchens mit
der Andeutung eines Lächelns. Als sich die Flügeltür zum Speisezimmer öffnete und das Gespräch unter den anderen Gästen erstarb, fand Elsa endgültig in ihr Element zurück.
Die ganze Gesellschaft hing an Elsas Lippen, was Helene sehr recht war, denn so konnte sie sich dem guten Essen widmen, ohne pausenlos freundliche Fragen beantworten zu müssen, und damit den Blicken Finlay Gordons ausweichen, der ihr gegenübersaß.
»Wusstest du, dass er kommt?«, hatte Elsa zwischen zwei Happen Entenragout gefragt. Dabei stand ihr bedenkliche Unternehmungslust ins Gesicht geschrieben.
»Ganz und gar nicht«, antwortete Helene, so als führten sie ein Gespräch über das Wetter.
»Dann hat Vater das eingefädelt? Hervorragende Idee.«
Elsa hob das Glas. »Würden Sie mit mir auf unseren Vater anstoßen? Meine liebe Schwester und ich sind glücklich, ihn endlich bei uns in Berlin zu haben.«
Elsa verstand es, die gelehrte Tafelrunde beachtlich aufzumuntern, nicht einmal den Damen gelang es, die Stimmung mit Humorlosigkeit zu sabotieren. Mit ihren Anekdoten vom Bühnenleben hatte Elsa sie ebenso im Griff wie ihre Ehemänner, Helenes Lehrer, die sie in wehrlose Charmeure verwandelte.
Hähnlein ließ das Dienstmädchen weiteren Champagner aus dem Eiskeller holen, und seine Frau bat die Gäste in den Salon, wo es ein frisch gestimmtes Pianoforte gab. Das vierhändige Spiel der Töchter des Hauses zwang Elsa eine Pause auf, die sie zur Vorbereitung ihres Angriffs auf Finlay Gordon nutzte.
»Könntest du bitte aufhören, ihn anzustarren wie einen Stock Seide?«, flüsterte Helene.
»Bist du eifersüchtig?« Elsa ließ ihren Fächer aufschnappen. »Du wirkst so erhitzt.«
»Sei nicht albern. Ich kenne den Mann doch gar nicht.«
»Das sollten wir ändern. Er sieht gut aus. Der Mann ist Arzt, hast du nichts mit ihm zu reden?«
»Würdest du das bitte mir überlassen?«
»Hör auf zu zischen, das ist unhöflich den Pianistinnen gegenüber.«
»Ist Ihnen nicht gut?«, flüsterte Sophie Hähnlein besorgt. »Wir haben ein Badekabinett einbauen lassen, wollen Sie es sehen? Sie könnten sich dort frisch machen.«
Hastig überlegte Helene, ob sie sich damit aus der Affäre ziehen könnte, das Angebot der Hausherrin anzunehmen, doch sie war nicht schnell genug.
Neben ihr sprang Elsa applaudierend vom Sofa auf.
»Wie entzückend Ihre Töchter spielen«, rief sie.
»Oh bitte«, parierte Sophie Hähnlein prompt. »Würden Sie uns die Freude machen und etwas singen, Elsa!«
Helene sah ihre Schwester zaudern und fragte sich, wie es sein konnte, dass all die gebildeten Menschen in diesem Zimmer bereit waren, ihr diese Posse abzunehmen. Allein ihr Vater beobachtete die Szenerie mit beinahe wissenschaftlichem Interesse.
»Ich weiß nicht, ob meine Stimme nach einem Bühnenabend noch die Kraft hat, ein ganzes Lied durchzustehen«, hörte sie Elsa sagen, »… aber auf ein Duett würde ich mich einlassen.«
»Wo, sagten Sie, ist Ihr Kabinett?«, flüsterte Helene. Doch Sophie Hähnlein war nicht mehr ansprechbar.
»Mister Gordon«, rief Elsa, »welche deutschen Lieder kennen Sie?«
Helene musste sich abwenden.
Elsa war unerbittlich, und der Rest der Gesellschaft machte mit, als wären sie allesamt unter den Einfluss einer seltsamen Droge geraten. Während der schottische Arzt sich dem launigen Drängen seiner Gastgeber ergab, ein Schubertlied mit Elsa vorzutragen, versuchte Helene dezent dem Zimmer zu entkommen.
»Hiergeblieben!«, sagte ihr Vater. Er fasste sie am Ellenbogen und dirigierte sie zu einem der Sofas. »Du wirst doch deiner Schwester nicht das Feld überlassen.«
Er glaubte etwas vollkommen Falsches, aber das machte letztlich so gut wie gar nichts, dachte Helene, denn wenige Augenblicke später begann Finlay Gordon derart grauenvoll zu singen, dass ihrem Vater vor Lachen die Tränen kamen. Dafür war Helene bereit, Elsa alles zu verzeihen. Sie war auch bereit, ihr nachzusehen, dass sie Finlay nach dem Ende des Abendliedes mit einem weiteren Glas Champagner zu ihr schickte, während sie mit dem Vater den Tanz eröffnete.
Helene wandte sich Finlay zu, der neben ihr Platz genommen hatte.
»Ich muss Sie um Entschuldigung bitten«, sagte sie.
»Aber nein«, antwortete er, »nur wäre das alles gar nicht nötig gewesen. Ich hätte Sie niemals gehen lassen,
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