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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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Offizierstochter, die einen Anstrich von Bildung hatte und nicht lange blieb.
    »Mitnichten sollen die kleinen Rollen vom Lob des Re… zen…senten unbe…lohnt bleiben«, las Sidonie mühevoll. »Das Kammermädchen gab Made…moi…selle Elsa Heuser allerliebst neben der vort…refflichen Stich.«
    Perditas Liebesrufe tremolierten einem schnellen Höhepunkt entgegen, als Sidonie die Wohnung verließ, um hinunter zu den Mädchen in den Salon zu gehen. Noch auf der Treppe entschied sie sich anders und ging in den anderen Flur hinüber zum grünen Zimmer, ohne genau zu wissen, was sie eigentlich dort wollte. Vielleicht hören, ob Celestine ihre Arbeit anders machte? Noch bevor Sidonie sich losreißen konnte, um dem Gelächter der Mädchen nach unten zu folgen, öffnete sich die Tür und entließ einen Mann, der im Davonlaufen seinen Gehrock zuknöpfte und grußlos den grauen Zylinder tief ins Gesicht zog. Jemanden, der so gut gekleidet war, hatte Sidonie in diesem Haus und überhaupt an der Königsmauer noch niemals gesehen.
    Aus der Tiefe des Zimmers, das einmal ihres gewesen war, schimmerte der nackte Körper Celestines, die sich an der Waschschüssel wusch. Sidonie war unfähig, sich von der Stelle zu bewegen. Sie fühlte sich nicht im Geringsten unbehaglich, Celestine dabei zuzusehen, wie sie sich von dem Mann reinigte, der sie eben verlassen hatte.

    Die Wassertropfen auf ihrer Haut hatten den matten Glanz von Mondsteinen, als sie sich umwandte. Sie ging auf Sidonie zu, ohne sich zu bedecken, und nur für einen kurzen Moment hatte Sidonie den Wunsch zu fliehen. Als Celestine die Hand ausstreckte und ihre linke Brust umfasste, konnte sie spüren, wie das Kind in ihrem Bauch unruhig wurde.
    »Du wirst Milch für zwei brauchen«, sagte Celestine mit ihrer seltsamen Art zu reden. »Pass auf, mit wem du dich einlässt, petite. « Ihre Hand glitt zu Sidonies Bauch und brachte das Kind zur Ruhe. Dann wandte sie sich um, ging zurück ins grüne Zimmer und schloss die Tür.
    Es war ungewöhnlich still im Haus, während sich auf dem Hemd über Sidonies Brust ein nasser Fleck ausbreitete.

    Am Gendarmenmarkt stieg Elsa in eine Droschke, nannte dem Kutscher die Adresse und warf einen letzten Blick auf das Theater, bevor sie sich in die Polster lehnte. Sie hatten Die Bekehrten wieder vor vollem Haus gespielt, die Stadt belebte sich, man war aus seinen Sommerresidenzen zurückgekehrt und gab wieder Abendessen.
    Während das gleichmäßige Klappern der Pferdehufe sie müde machte, versuchte Elsa sich zu erinnern, wann sie zum letzten Mal gemeinsam mit Helene und ihrem Vater ausgegangen oder einer Einladung gefolgt war. Hatten sie es jemals getan? Wenn die beiden sie in Berlin besuchten, waren sie gekommen, um sie im Theater zu sehen, tagsüber waren sie zusammen durch den Tierpark flaniert, hatten das Museum besucht. Auch kam ihr ein Ausflug auf die Pfaueninsel in Erinnerung, wo sie die Tiersammlung des Königs
angesehen hatten, und ein Abendessen im Speisehaus Jagor Unter den Linden.
    Wenn sie an jene Besuche dachte, so fiel ihr vor allem ein, dass ihre Mutter nicht dabei gewesen war, und noch immer verspürte sie einen beschämenden Groll darüber. Jeder Gedanke an Gesa löste zwiespältige Empfindungen in ihr aus, Kummer und Wut, Ohnmacht und Traurigkeit. Dass sie ihre Sehnsucht nach der Liebe und dem Stolz ihrer Mutter gemeinsam mit ihr begraben musste, bereitete ihr den schmerzhaftesten Verlust. Das Schlimmste jedoch war, dass sie bei allem sich selbst in Verdacht hatte, ihrer Mutter unrecht zu tun. Sie musste sich verbieten, in Grübeleien darüber zu verfallen, es führte zu nichts. Schon erst recht brachte es sie nicht weiter, sich von fortgesetztem Schuldempfinden deprimieren zu lassen, ob es nun beim Nachdenken über ihre Mutter geschah, den ungelösten Fragen über die kleine Habermann oder bei jedem Gedanken an Moritz, der ihr mitunter durch Kopf und Herz fuhr wie ein Blitzschlag, so wie in diesem Augenblick, als die Droschke zum Halten kam.
    Doch Elsa gelang es, ihre Gedanken in eine gänzlich andere Richtung zu lenken, bevor sie das Haus Professor Hähnleins betrat, das sich im Spandauer Viertel befand. Der König hatte heute allein in der Loge gesessen, was er, wie sie wusste, zuweilen genoss.
    »Wo ich auch sein mag, überall bin ich in Anspruch genommen«, hatte Wilhelm seinen Schauspielern einmal bei einem Abendessen anvertraut. »Im Theater bin ich nicht einsam und doch mit mir allein. Hier will man nichts

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