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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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womöglich auf eine sehr rohe Weise. Bedauerlicherweise hatte die Peltzig sie beide in flagranti erwischt. Zwar empfand sie das Geschehen nicht als Kränkung, jedoch hinsichtlich der Tatsache, dass er ihr das Geschäft mit einer Jungfrau verdorben hatte, als unverzeihlich.
    Zusammen mit Celestine, die sie gleich mit hinauswarf, weil sie Madame Peltzigs unerschütterlicher Überzeugung nach nichts als Unglück brachte, fand sich Friedo in den mittleren Augusttagen auf einer heißen, staubigen Landstraße vor Linz. Er hatte die Namen Hamburgs und Berlins mit einem Haselzweig in den Sand geschrieben und Celestine
die Entscheidung überlassen, denn sie verfügte seiner unerschütterlichen Meinung nach über das zweite Gesicht.
    Nun also waren sie hier, und er verkaufte sie teuer. Deshalb saß er zu Beginn jeden Abends in einem Sessel gegenüber den schäbigen Sofas der Mädchen und handelte mit dem ersten Kunden für Celestine den Preis aus, an den sich alle folgenden zu halten hatten, denn in diesem Punkt traute er Perdita nicht. Es konnte ihr bei aller Liebe nicht von Nutzen sein, dass die eigenen Mädchen neben der schwarzen, geheimnisvollen Celestine als zweite Wahl galten, zumal sie Sidonie, die hübscheste von allen, nicht mehr anbot, womit sie einen Fehler machte, denn es gab Kundschaft, die für eine Schwangere gute Preise zahlten. Nicht hier an der Königsmauer, sagte Perdita; das ist ein zu spezieller Geschmack für die schlichten Gemüter. Wer wusste es schon, vielleicht hatte sie auch recht?
     
    Sidonie sah auf, als Friedo von Trapp Perditas gute Stube betrat, in der sich einige dunkle Möbel zu einem muffigen Ensemble gruppierten.
    »Du liest?«
    »Das sehen Sie verdammich richtig, Monsieur.«
    Sie wandte sich wieder der Zeitung zu, die sie im Stehen am Tisch las, die Arme neben der Öllampe aufgestützt, mit dem Zeigefinger unter den Textzeilen entlangfahrend.
    »Du kannst ruhig Friedo zu mir sagen, wo wir doch jetzt eine Familie sind.«
    »Ich gründe gerade meine eigene, wie man sieht«, antwortete Sidonie, ohne aufzusehen.
    Friedo lachte. Er knöpfte seinen Rock auf, ließ sich auf einem der Stühle nieder und schlug die Beine übereinander.
    »Das würde ich mir an deiner Stelle noch mal überlegen«, sagte er, »du bist etwas Besonderes, da hat Perdita ganz recht.« Er griff nach dem Zopf, der von ihrer Schulter fallend zwischen Tisch und Körper schwang. »Du hast wirklich außergewöhnlich schönes Haar. Allerdings ist auch alles andere sehr schön an dir, soweit ich das sehen kann, aber das hörst du sicher nicht zum ersten Mal.«
    »Stimmt«, sagte Sidonie und entzog ihm den Zopf. »Haut mich nicht gerade aus den Pantinen, was Sie mir zu sagen haben.«
    Friedo lächelte.
    »Warum denn so schroff, Verehrteste? Hab ich dir etwas getan?«
    Sidonie beugte sich wieder über die Zeitung.
    »Das wissen Sie verdammich genau.«
    »Das beste Mädchen bekommt das beste Zimmer. Und solange du das nicht hinter dir hast, ist es eben Celestine.«
    Wortlos zuckte Sidonie die Achseln. Sie roch Friedos Parfüm, und aus den Augenwinkeln konnte sie sein rechtes Bein wippen sehen. Zweifellos hatte er was Vornehmes an sich. Zum Beispiel legte er seine von Perdita persönlich manikürten Hände auf den Beinen ab und hängte die Daumen nicht in die Weste. Auch hatte Sidonie ihn nie breitbeinig dastehen oder einem Mädchen den Zigarrenqualm ins Gesicht blasen sehen.
    »Du solltest dir etwas Mühe geben, mich richtig zu verstehen, das könnte dir nützen. Wenn ich dir nämlich sage, dass du schön bist, dann nicht, weil ich Absichten habe. Das wäre doch dumm von mir, nicht wahr? Aus dir könnte man etwas machen, es wäre nur zu deinem Vorteil, wenn du das begreifen würdest. Dir fehlt allerdings noch der rechte Schliff.«

    Wortlos sah Sidonie auf die Zeitung hinab, die vermutlich ihm gehörte, denn in Perditas Haus las sonst kein Mensch. Bevor Friedo aufgetaucht war, um sie zu stören, hatte sie versucht, einen Artikel über ein Theaterstück zu lesen, das am Königlichen Schauspielhaus gegeben wurde. Wie es hieß, hatte sie bereits wieder vergessen, so wie alles, was in dem Bericht stand, den sie niemals von Anfang bis Ende gelesen hätte, wäre ihr nicht Saphirs Name aufgefallen.
    »Das Zeitunglesen ist kein schlechter Anfang«, sagte Friedo. »So lernst du etwas über die Gesellschaft, in der du dich möglicherweise bewegen willst.«
    Sidonie fuhr hoch.
    »Jetzt tun Sie mal nicht so, als wüssten Sie was über

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