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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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Sentimentalität begabt war, so mochte für den eruptiven Aufbruch
seiner Empfindungen von Bedeutung gewesen sein, dass sich jenes glanzvolle Ereignis unter der schicksalhaften Schirmherrschaft der göttlichen Königin Luise zu befinden schien, in deren gesellschaftlichem Leben Maskenfeste zu den größten Vergnügen gezählt hatten. Den frühen Tod seiner Mutter konnte der junge Prinz nie verwinden. Man sagte, er suchte sie in allen Frauen wiederzufinden.
    Eliza Radziwill, eine sanfte Schönheit, deren Vater dem mächtigsten polnischen Adelsgeschlecht entstammte und deren Mutter eine preußische Prinzessin war, gab an jenem denkwürdigen Tag die Himmelssehnsucht, und jeder, der sie sah, glaubte, dass diese Rolle allein für sie ersonnen gewesen sein musste.
    Während eine begabte Sopranistin ihr, von einem Vorhang verborgen, die Stimme lieh, spielte Eliza Radziwill sich mit voller Inbrunst die schöne Seele aus dem Leib. Völlig unerwartet wurde die scheue Prinzessin zur Sensation, zum Glanzstück der gesamten Aufführung. Der Prinz verliebte sich in sie, und mit ihm tat dies ganz Berlin.
     
    Der wehmütigen Erzählung des Prinzen lauschend, leerte Elsa ihr Glas Champagner in einem Zug und spülte die bittere Erkenntnis hinunter, dass es eine solche Liebe nur ein Mal geben würde.
    Sie hatten die grünseidenen Sessel vor den Kamin gerückt. Krachend spuckten die Buchenscheite Funken wie ein Hausvulkan, und nur ein eisernes Gitter verhinderte, dass die Intarsien des Parketts angesengt wurden. Draußen in der Nacht stürmte es geradezu himmlisch, und Elsa hatte sich niemals in ihrem Leben geborgener gefühlt als in ebendiesen kostbaren Momenten, die sie mit dem Prinzen teilte.

    Ungewohnt leger saß er ihr mit ausgestreckten Beinen gegenüber. Das offene Hemd fiel in weichen Falten über die Hosen, und manchmal, während er sprach, berührten seine nackten Zehen zärtlich die ihren. Das flackernde Rot des Feuers verlieh seinem trotzigen Mund unter dem Schnurrbart einen betörenden Schimmer.
    Sie hätte ihn immerzu küssen wollen, hielt sich aber zurück.
    Denn dass er sich ihr anvertraute, wusste sie zu schätzen, obwohl es sie gleichzeitig mit einem unglaublichen Schmerz erfüllte.
    »Sie hat den Liebreiz eines Engels«, sagte Wilhelm, »und sie fesselt jeden Menschen, der ihr begegnet, mit der Grazie ihrer Seele.«
    Mit einem Kienspan entzündete er einen Zigarillo, den er einem silbernen Etui entnahm. In einer dichten Wolke ließ er den Qualm vor seinem Gesicht aufsteigen, bevor er ihn langsam fortblies.
    »Ich glaube, an dem Tag des Maskenfestes zeigte sie allen ein letztes Mal den unbändigen Teil ihres Charakters, der Jahre zuvor mit ihrer älteren Schwester gestorben schien. Denn Loulou, musst du wissen, hatte im Alter von neun Jahren einen Kammerdiener umgerannt, der einen Samowar mit kochendem Wasser herantrug. Eliza war fünf Jahre alt, als ihre Schwester starb. Darauf wurde sie ein vollkommen stilles Wesen.«
    Wilhelm wandte seinen Blick vom Feuer ab, und nach einem - nur sehr kurzen - Zögern reichte er Elsa die schlanke Zigarre, als sie die Hand danach ausstreckte.
    Es gelang ihr, den würzigen Qualm zu inhalieren, ohne husten zu müssen, und während sie seine Worte aufnahm
wie ein unerwartetes Geschenk, traf die Wirkung des Tabaks ihre Sinne mit überraschender Wucht.
    »Der Hofklatsch zwang meinen Vater einige Monate nach Lalla Rookh , mich über meine Neigungen zu befragen. Als ich ihm sagte, dass ich Eliza liebte, setzte dies die Wirrnisse einer akribischen, nicht enden wollenden Prüfung in Gang, ob unsere Liebe eine standesgemäße Verbindung sei. Man trennte uns. Der Zwang, ihr fernzubleiben, machte meine Empfindungen für sie zu einer unerträglichen Obsession. Angefacht von einem sechs Jahre andauernden Hin und Her zwischen vielleicht und möglicherweise bis hin zum endgültigen Nein.«
    Elsa legte den Kopf zurück, ihr war schwindlig, auf eine sehr angenehme, weiche Weise.
    »Wir träumten uns indessen dem Ziel entgegen, fühlten uns ihm oft schon so nahe. Doch der Augenblick sollte nicht kommen.«
    Er sprach von ihr wie von einer Heiligen und von seiner Liebe wie von einem fest verschnürten, auf dem Postweg verloren gegangenen Paket.
    Elsa nahm einen weiteren Zug von der Zigarre und beugte sich vor, um sie ihm wiederzugeben. Tatsächlich küsste er sie, bevor er sich zurück in den Sessel lehnte.
    »Interessant«, sagte er.
    Sein Lächeln freute sie über alle Maßen.
    »Ich habe noch nie

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