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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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Gläser seiner Brille hinweg an.
    »So etwas kommt auf der Bühne durchaus vor.«
    Werthen erinnerte sich daran, dass Schönberg das Gleiche über Zemlinskys kürzlich erfolgten Unfall gesagt hatte. Er griff nach seinem ledernen Notizbuch, um die Fakten festzuhalten.
    »Rott war offensichtlich ein Wunderkind. Er begann sein Studium am Konservatorium als Stipendiat mit sechzehn. Er studierte Orgel bei Bruckner, der ein großer Freund und Förderer Rotts wurde. Seine erste Sinfonie schrieb er 1876. Die nächste Sinfonie in E-Dur wurde 1878 für den Beethoven-Preis vorgeschlagen. Bei dieser Gelegenheit geriet er in Konflikt mit Brahms, weil der alte Mann einfach nicht glauben wollte, dass ein junger Student zu einer solchen Komposition fähig wäre. Er beschuldigte ihn des Betrugs und des Plagiats. Rott zerbrach daran. Er war 1880 auf dem Weg nach Deutschland, weil er ein zweitklassiges Engagement in Mühlhausen angenommen hatte, als sich der Vorfall ereignete. Sie entfernten ihn aus dem Zug und brachten ihn in die psychiatrische Klinik des Allgemeinen Krankenhauses. Dort versuchte er sich umzubringen und wurde ein Jahr später in das Niederösterreichische Staatliche Irrenhaus eingewiesen.«
    Mit einem dramatischen Blick wandte sich Kraus von seinen Aufzeichnungen ab: »Er starb dort drei Jahre später an Tuberkulose, mit der er sich als Patient angesteckt hatte.« Er schüttelte den Kopf. »Offensichtlich war man dort nicht einmal im Stande, tuberkulöse Patienten von den Gesunden zu isolieren.«
    »Und wo ist die Verbindung zum Fall Mahler?«
    »Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Wie geht es Mahler übrigens?«
    »Schon besser«, antwortete Werthen. »Aber es war äußerst knapp.«
    »Also war es keine Lebensmittelvergiftung, wie die
Neue Freie Presse
behauptete?«
    Werthen schüttelte den Kopf.
    Kraus war kurz davor, sich vor Begeisterung die Hände zu reiben, weil er hier Interna über ein Verbrechen erfuhr. »Also, was nun Mahler und Rott betrifft; ich gebe zu, dass ich Gerüchte aus Musikerkreisen gehört habe. Man scheut sich ja eigentlich, kritiklos bloßen Klatsch weiterzugeben.« Sein schadenfrohes Lächeln bei diesen Worten war unübersehbar.
    »Kraus …« Werthen bedachte ihn mit seinem Advokatenblick.
    »Vergessen Sie bitte nicht, dass es sich nur um Gerüchte handelt, Herr Advokat.«
    »Das werde ich schon nicht. Und jetzt heraus mit der Sprache.«
    »Man munkelt, dass Mahler die Musik von Rott sehr gemocht hat. Vielleicht ein bisschen zu sehr, möchte ich hinzufügen. Rotts Aufzeichnungen seiner Sinfonien und Liederzyklen sind nach seinem Tod auf mysteriöse Weise verschwunden. Man darf wohl annehmen, dass er einige selbst vernichtet hat, aber es sind offensichtlich einige Kompositionen auch einfach nur verschwunden. Und diejenigen, welche die frühen Kompositionen von Rott gehört haben, berichten von einer auffälligen Ähnlichkeit mit Mahlers Musik.«
    »Handelt es sich um Plagiate?«
    Kraus zuckte mit den Achseln. »Ich bin kein Musikkritiker.Und ich habe Rotts Musik nie gehört. Aber einige gehen so weit, Mahler deswegen hinter vorgehaltener Hand zu beschuldigen.«
    »Mein Gott, wenn das der Fall sein sollte, hätten wir hier ein sehr starkes Motiv.«
    »Motiv, gewiss«, stimmte Kraus zu und grinste über das ganze Gesicht. »Aber gab es auch die Gelegenheit? Ich muss Sie wohl daran erinnern, das Rott bereits vor fünfzehn Jahren gestorben ist.«
     
    Als Werthen in die Wohnung zurückkehrte, untersuchte Gross noch immer den Brief an Schreier. Der Kriminologe hatte aus dem Wohnzimmer ein Chemielabor gemacht. Becher blubberten über Paraffinbrennern auf dem Biedermeiersekretär, ein Mikroskop stand wegen des besseren Lichtes direkt vor dem großen Fenster zur Straße, und Dutzende verschiedener Tintenfässer sowie weißes Briefpapier waren auf dem neuen Ledersofa verteilt.
    »Hatten Sie nicht bereits nachgewiesen, dass Schreier den Brief nicht geschrieben haben kann?«, sagte Werthen zur Begrüßung.
    Gross sah von dem Brief auf, den er durch ein Vergrößerungsglas untersuchte.
    »Zu wissen, wer den Brief nicht geschrieben hat, ist nicht dasselbe, wie zu wissen, wer es getan hat.«
    Er widmete sich salbungsvoll weiter der Untersuchung des Briefes.
    »Das war doch einmal ein schöner logischer Satz, Gross«, entgegnete Werthen unüberhörbar sarkastisch. Er war nach den Ergebnissen dieses Morgens recht aufgekratzt. Aber Grossreagierte nicht auf den Seitenhieb, sondern brummte nur etwas

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