Wiener Requiem
und Gretel‹ erst 1893 uraufgeführt.«
»Aber wie soll er das gestohlen haben?«
»Wolf behauptete, dass er und Mahler über die Idee für eine solche Oper gesprochen haben. Für Gustl musste eine derartige Oper heiter werden. Wolf wollte natürlich nur einen ernsten Ansatz akzeptieren. Nach diesem Gespräch entschloss sich Gustl, selbst an einem Libretto zu arbeiten. Eine Woche später trafen sie sich erneut, und Gustl fragte seinen Freund, wie er mit dem Libretto vorankäme. Wolf arbeitete noch an dem Thema, sammelte immer mehr Geschichten, hatte aber noch nicht einmal damit begonnen, etwas niederzuschreiben. Als Mahler ihm daraufhin sein schon fertiggestelltes Libretto zeigte, bekam Wolf einen Wutanfall und schwor, dass er nun niemals auch nur eine Zeile dieses Märchens schreiben würde, da sein bester Freund ihm seine Idee gestohlen habe. Gustl versuchte ihn zu überzeugen, dass er nicht die Absicht hege, die Partitur zu diesem Libretto tatsächlich zu komponieren, denn es war für ihn nur eine Übung gewesen. Aber seit dieser Zeit war das Verhältnis zwischen Wolf und Gustl zerrüttet. Wann immer Wolf Gustl traf, ignorierte er ihn demonstrativ. Später, als es klar war, dass Wolf das Projekt aufgegeben hatte, machte sich Gustl noch einmalan die Komposition der Oper. Er gab das Vorhaben jedoch bald wieder auf, denn seine Tätigkeit als Dirigent nahm zu viel Zeit in Anspruch.«
»Das ist wohl kaum der Stoff für einen Rachefeldzug«, räumte Werthen ein.
»Nein«, erwiderte sie. »Aber wir Musiker sind sensibel.«
Werthen blinzelte, als eine undeutliche Erinnerung an das Gespräch mit Wolf ihm in den Sinn kam. Dieser hatte eine Bemerkung über den »Teufel« Mahler fallen lassen.
»War da sonst noch jemand, der einen ähnlichen Groll gegen Mahler hegen könnte?«, fragte Werthen. Dann fiel es ihm plötzlich wieder ein. Er erinnerte sich an das, was Wolf gesagt hatte; dass Mahler angeblich auch einem anderen Komponisten etwas gestohlen habe. Jemand, der laut Wolfs Worten seine Tage »hier« beendet habe. Damit hatte er wohl das Irrenhaus gemeint.
»Jemand, der später ebenfalls verrückt geworden ist?«
Natalie konnte ihre Überraschung kaum verbergen, dann lächelte sie etwas geringschätzig.
»Nicht alle schöpferischen Menschen sind verrückt, Herr Advokat.«
»Das wollte ich auch nicht andeuten. Ich habe mich lediglich nach jemandem aus Mahlers Vergangenheit erkundigt, der ebenfalls in einem Irrenhaus geendet sein könnte. Und der auch Rachegefühle gegen Mahler empfunden haben könnte.«
»Bis jetzt bin ich davon ausgegangen, dass wir nicht nur nach einem Geist suchen.«
Sie hatte natürlich recht. Der Täter musste noch am Leben sein. Aber Werthen ließ nicht locker, vor allem deshalb nicht, weil sie etwas zu verbergen schien.
»Natürlich könnte ich auch einfach Hofrat Krafft-Ebing nach früheren Patienten seines Niederösterreichischen Staatlichen Irrenhauses fragen.«
»Also gut«, gab sie zu. »Das wird nicht notwendig sein. Ich nehme an, Sie spielen auf Rott an, Hans Rott. Er starb 1884 in eben diesem Irrenhaus.«
Der Name kam Werthen bekannt vor. Sowohl Berthe als auch Kraus hatten den jungen Komponisten erwähnt.
»Standen sich Mahler und Rott nahe?«, erkundigte er sich.
»Sie gehörten beide der Wagner-Gesellschaft an, ebenso wie Wolf. Ich weiß, dass Gustl Rotts Talent sehr bewundert hat. Dass er so jung gestorben ist – er wurde nicht einmal sechsundzwanzig –, empfand er als Tragödie.«
Sie hielt inne, als hätte sie nicht mehr dazu zu sagen. Werthen bezweifelte das zwar, aber er war sich auch sicher, dass er von ihr nichts mehr erfahren würde.
Dafür jedoch hatte er eine Idee, wo er Genaueres über Herrn Rott herausfinden könnte.
Wieder einmal saß Werthen im Büro des Herausgebers der
Fackel
. Sein unangemeldeter Besuch und die Bitte um Informationen über Hans Rott schienen dem Journalisten zu gefallen, denn Kraus suchte mit offensichtlichem Vergnügen nach dem Namen in den alphabetisch geordneten Akten seines Büros.
»Da«, sagte er zufrieden, als er ein Bündel Notizen in einem blauen Ordner aus dem Schrank nahm und damit zu seinem Schreibtisch zurückkehrte. »Hier haben wir ihn, ›Rott, Hans‹. Geboren 1858 und gestorben 1884. Sein Vater Karl Matthias war tatsächlich ein recht bekannter Komödiant. Er erlitt 1874 einenfurchtbaren Unfall auf der Bühne und verstarb zwei Jahre später.«
»Ein Bühnenunfall, sagen Sie?«
Kraus sah Werthen über die
Weitere Kostenlose Bücher