Wiener Requiem
Schwester lediglich einige Fragen, Herr Mahler.«
»Sie behandeln Sie wie eine gewöhnliche Kriminelle. Wenn Sie etwas wissen wollen, fragen Sie mich. Ja, sie wusste von der Änderung des Testamentes. Ich habe es ihr selbst erzählt. Ich muss zugeben, dass ich ein eigennütziger Mensch bin. Und ich bedaure mein überstürztes Vorgehen. Es wird nicht mein letztes Wort gewesen sein.«
Die letzte Bemerkung war an seine Schwester gerichtet, die liebevoll seinen Arm streichelte.
»Geh zurück ins Bett, Gustl«, sagte sie. »Belaste dich nicht mit solchen Dingen. Du musst vor allem dafür sorgen, dass du wieder gesund wirst.«
Sie führte ihn durch den Flur zu seinem Schlafzimmer, begleitete ihn hinein und schloss die Tür hinter sich. Werthen begriff, dass ihr Gespräch damit wohl beendet war.
In dem Moment betrat Natalie das Wohnzimmer.
»Ich hatte das Gefühl, dass er es wissen sollte«, erklärte sie.
Werthen nickte.
»Sie würde ihm niemals etwas antun. Justine ist Gustl vollkommen ergeben.«
»Wie Sie auch«, konnte Werthen sich nicht enthalten hinzuzufügen.
Sie blieb einen Moment stumm. »Ja«, gab sie dann zu.
»Sie kennen ihn schon sehr lange?«
»Seit der Zeit am Konservatorium.« Sie musterte Werthen mit einem stechenden Blick ihrer grauen Augen. »Ich weiß, dass dies für einen Außenstehenden lächerlich wirken muss. Ich benehme mich wie eine alte Jungfer, die sich um den großen Komponisten herumdrückt, in der Hoffnung, dass er irgendwann schließlich den treuen Schoßhund wahrnimmt, dass er seine Liebe erwidern würde. Trifft das ungefähr Ihre Einschätzung meiner Person, Herr Advokat?«
Werthen sah keinen Grund, diese Offenheit nicht zu erwidern.
»Ungefähr, ja.«
»Aber es nur ein Teil der Wahrheit. Ich wünsche mir nicht, dass Gustl meine Liebe erwidert. Offen gesagt, ich wüsste gar nicht, was ich damit anfangen sollte. Mit meinem Ehemann ist es mir während meiner Ehe übrigens auch nicht anders ergangen. Musik und Gespräche genügen mir völlig. Da dies nun geklärt ist, können Sie gern Ihre Fragen stellen. Ich habe das sichere Gefühl, dass Sie an meinem Fundus von Geschichten über Gustl stark interessiert sind.«
Genau das war es, was Berthe von ihm verlangt hatte. Er sollte ihren Teil der Ermittlung, der sich um Mahlers Jugend drehte, übernehmen, da sie selbst nicht in der physischen Verfassung war, herumzureisen und Leute zu befragen. Gross, Werthen und Berthe hatten gemeinsam beschlossen, ihre Ermittlungenneu auszurichten. Das kolossale Verbrechen, die mögliche Ermordung etlicher großer Wiener Komponisten, sollte nach dem letzten und fast erfolgreichen Mordversuch an Mahler in den Hintergrund treten. Sie mussten vor allem die Person finden, die Mahler töten wollte. Sollte ihnen dies gelingen, hatten sie wahrscheinlich auch den Mörder der anderen Toten überführt.
»Ich weiß Ihre Offenheit zu schätzen, Frau Bauer-Lechner. Wie Sie richtig vermuten, möchte ich Ihnen gerne einige Fragen stellen. Insbesondere interessieren mich mögliche Feinde, die Mahler sich als junger Mann in Wien gemacht haben könnte.«
»Während der Studentenzeit? Aber das ist schon so lange her«, sagte sie. »Damals waren wir ja fast noch Kinder.«
»Manche Feinde hegen ihre Rachegefühle jahrzehntelang, Frau Bauer-Lechner. Wir sind zum Beispiel auf Hugo Wolf gestoßen.«
»Aber der arme Mann befindet sich doch in einer Irrenanstalt.«
»Er ist nur ein Beispiel. Vielleicht gibt es noch andere. Worum ging es übrigens bei dem Zerwürfnis zwischen Mahler und Wolf?«
»Gustl fand,
Der Corregidor
sei nicht überzeugend genug, um eine Aufführung an der Hofoper zu rechtfertigen. Es war eine rein musikalische Entscheidung, ohne jede Gehässigkeit.«
»Ich meinte davor. Aus der Zeit, als sie gemeinsam studierten. Wolf erwähnte in unserem Gespräch ein gestohlenes Libretto.«
Sie atmete tief durch. »Ach, diese alte Geschichte.«
»Sie wissen also davon?«
»Das ist reiner Unsinn. Ein kindischer Streit.«
»Lassen Sie mich das beurteilen, Frau Bauer-Lechner.«
»Also gut, wenn es denn sein muss. Es passierte etwa 1880, glaube ich. Wolf hatte in der Hofbibliothek etwas ausgegraben, das er für die perfekte Vorlage eines Librettos hielt. Es war die Geschichte von Rübezahl, dem berühmten Berggeist aus den deutschen Sagen. Wolf war schrecklich aufgeregt, er wollte eine Art Märchenoper daraus schaffen. So etwas hatte es noch nie gegeben. Wie Sie sich erinnern, wurde Humperdincks ›Hänsel
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