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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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sagte Mahler unvermittelt. Es war keine Frage.
    »Ich wüsste nicht, welche Rolle das hier spielen sollte.«
    »Offensichtlich getauft. Assimiliert sozusagen. Genau wie ich.«
    »Ja.«
    »Und ursprünglich aus Mähren, wieder genau wie ich selber.«
    »Sie haben Erkundigungen über mich eingezogen?«, fragte Werthen.
    »Hätten Sie dies an meiner Stelle nicht auch getan? Ein kurzer Anruf bei einem sehr diskreten Freund in gehobener Stellung. Nicht mehr.«
    »Und, waren Sie zufrieden mit dem, was Sie hörten?«
    »Sonst hätte meine Schwester Sie gar nicht vorgelassen.« Ein weiteres schmallippiges Lächeln zeigte ungleichmäßige, aber weiße Zähne. »Also, was sagen Sie? Akzeptieren Sie mich als neuen Klienten?«
    »Gewiss doch. Es wird mir eine Ehre sein, Herr Mahler.«
    Mahlers Schwester wartete bereits im Flur, um Werthen hinauszubegleiten. Hatte sie ein ausgezeichnetes Zeitgefühl, oder hatte sie einfach gelauscht? An der Tür berührte sie leicht seinen Arm und sah ihn flüchtig an. Justine Mahler machte den Eindruck einer Frau, der ein Geständnis auf der Zunge lag.
    »Gustl braucht Schutz. Ob er es nun selbst weiß oder nicht. Ich bin auf jeden Fall sehr froh, dass Sie gekommen sind.«
    Noch bevor Werthen die Möglichkeit hatte, nachzuhaken, führte sie ihn höflich aber bestimmt hinaus.

3. KAPITEL
    Zwischen Werthen und Berthe hatte sich so etwas wie ein häusliches Leben entwickelt, wenn es auch alles andere als perfekt organisiert war. So entsprach ihr Haushalt keineswegs aristokratischen Gepflogenheiten – das Frühstück im eigens dafür vorgesehenen Salon, Besucherkarten akkurat auf einem hohen Tisch neben dem Eingang ausgelegt, die Jause mit Mohnkuchen und Kaffee pünktlich um halb fünf serviert, endlose und eher überflüssige Empfänge … Ihr Haushalt wurde auch nicht mit koscherer Küche und streng eingehaltenem Sabbat mit obligatorischer Thora-Lesung geführt. Langsam aber sicher entwickelten Werthen und Berthe ihren eigenen Rhythmus und ihre eigenen Rituale.
    So wie heute am heiligen Sonntag; die Geschäfte und Schulen waren wie üblich geschlossen, und sie gingen beide im Studierzimmer ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: Sie vertieften sich in Bücher. In ihrer Kindheit war ihnen das Lesen bei Tisch streng verboten gewesen, allerdings saßen sie auch jetzt nicht am Tisch, sondern an entgegengesetzten Enden des breiten Ledersofas, das sie auf Berthes nachdrücklichen Wunsch hin gekauft hatten.
    Nicht bei Tisch also, aber beim Frühstück, die Füße auf einem Fußbänkchen ausgestreckt. Für Werthen bestand dieses Mahl immer noch aus Frau Blatschkys aromatischem, kräftigem Kaffee und einem Kipfel aus der Bäckerei im Parterre ihresWohnhauses. Werthen wurde gewöhnlich gegen fünf Uhr früh vom unwiderstehlichen Duft dieses Gebäcks geweckt, wenn das süße Hefearoma durch das Treppenhaus nach oben getragen wurde.
    Berthe dagegen war nach ihrem kurzen Aufenthalt in London überzeugt, dass ein Frühstück aus einer Kanne feinstem Ceylon Tee und knusprigem Toast mit Frank Cooper’s Oxford Marmelade bestehen muss. Den Tee und die Marmelade bezog sie von Schönbichler in der Wollzeile. Berthe hatte Werthen an einem regnerischen Tag im März die Wunder dieses Geschäftes gezeigt, das versteckt in einem Durchhaus abseits der Wollzeile lag. Werthen hatte niemals eine derart würzige Duftmischung in einem einzigen Raum für möglich gehalten.
    Nachdem sie die Neue Freie Presse durchgeblättert hatte, widmete sie sich dem neuen Buch von Hermann Bahr, »Essays über das Wiener Theater«, während Werthen sich in Engelbert Bauers neues Buch: »Vom praktischen Nutzen der Elektrizität« vertieft hatte. Er liebte die Herausforderung neuen Wissens; das löste seine Gedanken aus ihren gewohnten Bahnen, und er lernte neue und wunderbare Dinge über eine Welt, die sich in immerwährendem Wandel befand.
    Dies war das eingespielte Ritual am Sonntagmorgen, auch wenn ihre Ehe erst ein paar Monate währte.
    Frau Blatschky empfand allerdings einen tiefen Widerwillen gegen dieses neue, informelle Arrangement. Für Werthen den Junggesellen war es nur recht gewesen, das Frühstück im Arbeitszimmer einzunehmen, aber nun war er ein verheirateter Herr, und die Köchin hatte höhere Erwartungen an die neue Dame des Hauses gehegt.
    Nach der Hochzeit war Frau Blatschky zu ihm gekommen,um ihre Kündigung anzubieten, da doch die junge Dame sicherlich ihr eigenes Personal mitbringen würde. Sowohl Werthen als auch Berthe

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