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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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hatten ihr versichert, dass sie großen Wert auf ihr Bleiben legen würden. Doch zu Zeiten war es schwierig für Frau Blatschky. Nicht nur das ungezwungene Verhalten der Jungverheirateten machte ihr zu schaffen. Das Ericsson-Telefon, das Berthe hatte installieren lassen, war eine ständige Quelle der Verwirrung für Frau Blatschky. Man konnte sie stocksteif vor dem Apparat stehen sehen, wenn er klingelte, weil sie zu große Furcht hatte, ihn auch nur zu berühren. Keine noch so beruhigende Erklärung konnte sie davon überzeugen, dass sie keinen elektrischen Schock beim Abnehmen des Hörers bekommen würde. Auch die Tatsache, dass Werthen und Berthe sich ein Schlafzimmer teilten, statt in separaten Gemächern zu nächtigen, schien Frau Blatschky zu schockieren.
    Aber Werthen hatte sich im Laufe der Jahre an sie gewöhnt, und auch Berthe konnte sich mit ihr abfinden, vor allem wegen ihres wunderbaren Zwiebelrostbratens.
    Sie übersahen geflissentlich Blicke voller Geringschätzung, wenn Frau Blatschky das Frühstückstablett absetzte, und machten es sich einfach bequem und gemütlich.
    »Mein Gott!«, entfuhr es Berthe hinter ihrer Zeitung.
    Werthen sah von seinem Buch auf. »Was gibt es?«, fragte er mit gespieltem Entsetzen. »Schlagen sich die Abgeordneten wieder?« Das Wiener Parlament war bekannt für seine lärmenden Debatten, bei denen es durchaus auch einmal handgreiflich zugehen konnte.
    »Nein.« Berthe sah ihn an. »Es geht um Mahler. Er hatte einen Unfall in der Hofoper.«
    Werthen war schon fast hinaus durch die Wohnungstür, als er endlich doch noch Berthes Rufe wahrnahm.
    »Wäre es nicht klug, zunächst einmal mit ihm zu telefonieren?«
    In seiner Hast hatte er völlig den Luxus des Telefons im Foyer vergessen.
    »Genau«, stieß er immer noch gehetzt hervor.
    »In diesem Zustand bist du für niemanden eine Hilfe. Atme erst einmal tief durch, am besten gleich fünfmal.«
    Zu seiner eigenen Überraschung befolgte er ihren Rat, und nach dem fünften tiefen Atemzug fühlte er sich deutlich besser.
    Er rief also in Mahlers Wohnung an und erreichte die Schwester des Komponisten, Justine. Sie berichtete, dass Mahlers Verletzungen nicht lebensgefährlich seien und Mahler ihn später am Tag gerne empfangen werde. Werthen legte den Hörer auf die Gabel aus Bakelit. Das Gerät gab einen Klingellaut von sich, um das Ende der Verbindung anzuzeigen.
    »Geht es ihm besser?«, fragte sie.
    »Allerdings. Wirst du mich begleiten?«
    »Zu Mahler?«
    »Wir sollten zuerst der Hofoper einen Besuch abstatten.«
    »Aber mein Friseur hat heute geschlossen.« Etwas übertrieben zupfte sie an ihren Haaren.
    »Ich meinte das Gebäude, nicht eine Vorstellung.«
    Ihre amüsanten Gesten hatten eine ernüchternde Wirkung auf Werthen, der immer noch erstaunt war über seine heftige Reaktion auf die Nachricht von Mahlers Verletzung. Gab er der Wahrheit die Ehre, dann bedeutete Mahler ihm menschlich gesehen eher wenig. Doch er hatte dem Schindler-Mädchen seine Dienste angeboten und wurde sich nun schmerzlich bewusst,dass er nichts getan hatte, um den Komponisten zu schützen. Tatsächlich hatte er Fräulein Schindler erst gestern mitgeteilt, dass ihre Befürchtungen hinsichtlich Mahlers Sicherheit unbegründet seien. Sie hatte zwar dagegen argumentiert, aber er hatte ja unbedingt den klügeren älteren Herren spielen müssen und ihr versichert, alles sei unter Kontrolle. Jetzt bereute er nicht nur seine Worte; auch sein blasierter und etwas selbstzufriedener Tonfall am Telefon war völlig fehl am Platz gewesen.
    Da kam ihm Berthes zupackende Art gerade recht; daher auch seine Einladung an sie, den Vorfall gemeinsam zu untersuchen. Werthen war sich zudem sicher, dass es ihr schmeichelte, auch wenn sie sich bemühte, einen möglichst unbeteiligten Eindruck zu machen.
    Nach einem weiteren kurzen Anruf bei der Verwaltung der Hofoper verließen sie ihre Wohnung und gingen forschen Schritts in Richtung Ringstraße.
     
    Das kaiserliche Opernhaus war zwar erst dreißig Jahre alt, vermittelte jedoch den überwältigend würdevollen Eindruck hohen Alters. Der Sandstein der Fassade hatte schon eine rotbraune Patina, und das Kupferdach schimmerte von pastellgrünen Oxidationsspuren. Wie auch andere Gebäude an der Ringstraße war es in einer Melange verschiedener Stile gebaut worden, die Renaissance hatte jedoch den größten Einfluss gewahrt, vor allem bei den Loggien und Portiken, die aus der Fassade herausragten. Insgesamt war die Hofoper ein

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