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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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und auf derselben Straßenseite, nicht weit entfernt, befand sich das Polizeipräsidium.
    Sie standen nun vor der Wohnungstür der Sängerin. Werthen betätigte den Türklopfer, der die Form eines holländischen Holzschuhs hatte. Kurz darauf öffnete die Sängerin selbst: Werthen erkannte sie sogleich, da er sie als Brünhilde an der Hofoper gesehen hatte. Normalweise erscheinen Bühnengrößen sehr viel kleiner, wenn man ihnen außerhalb des Theaters begegnete. Anna von Mildenburg dagegen war in natura größer. Sie war zwar keine korpulente Frau, jedenfalls nicht für eine Wagner-Sopranistin, aber doch recht stattlich. Sie trug ein fließendes Gewand, das eine Mischung aus Kleid und Kimono zu sein schien. Ihr Haarschopf war mit Hilfe vieler Klammern und Kämmen hochgesteckt, und die aristokratisch-römische Nase dominierte ihr Gesicht. Erwartungsvoll blickte sie die beiden Männer an.
    »Sie müssen Herr Werthen sein«, sagte sie und streckte ihre Hand aus.
    Werthen nahm die warme Hand der Frau und spürte einen elektrischen Impuls. Schauspielerinnen und Sängerinnen hattenstets diesen Effekt auf ihn: Er errötete bis in die Haarspitzen und hatte Mühe, seine Stimme wieder zu finden, als sie in den Salon gingen. Er war rechtwinklig und mit geometrischen Motiven ausgestattet; es schien, als hätte man hier einem Dekorateur der Wiener Werkstätten freie Hand gegeben, ganz wie bei Mahler. Werthen machte etwas stotternd alle miteinander bekannt und nahm dann neben Gross auf einem Diwan Platz, dessen Polster ein wie von Klimt gemaltes feines byzantinisches Mosaikmuster aufwies.
    »Sie untersuchen also diese Anschläge auf Mahlers Leben?«
    Diese Bemerkung überraschte Werthen, und er sah zu Gross hinüber, der stumm nickte.
    »Ich habe selbstverständlich sofort Mahler angerufen, nachdem Ihre Assistentin dieses mysteriöse Treffen vereinbart hatte. Wir haben nichts voreinander zu verbergen.«
    »Sieht ganz so aus«, brachte Werthen schließlich heraus.
    »Und Sie, mein Herr«, sagte die Mildenburg und wandte sich an Gross, »sind keineswegs der namenlose Assistent, zu dem Herr Werthen Sie hier macht, nicht wahr?«
    »Nun ja …«, begann Gross.
    Sie schnitt ihm das Wort ab. »Natürlich sind Sie das nicht. Ich bin vielleicht nur eine darstellende Künstlerin, aber ich bin kein Dummkopf. Ich habe schon einmal ein Bild von Ihnen gesehen. Sie sind, wenn ich mich nicht irre, der Kriminologe Dr. Hanns Gross.«
    »Sie irren nicht«, gab Gross zu.
    »Also ist die Angelegenheit ernst«, folgerte sie. »Und keines von Gustavs Hirngespinsten.«
    »Neigt er denn dazu?«, fragte Gross nach.
    Die Mildenburg lächelte wissend, lehnte sich auf ihremHoffmann-Stuhl zurück und zog ihre japanische Robe schicklich über einen entblößten Knöchel.
    »Er ist immerhin ein kreatives Genie. Die ganze Welt verehrt ihn für seine Hirngespinste.«
    »Zumindest für die am Podium und dem Piano«, ergänzte Gross.
    »Man kann ein Leben nicht so einfach in künstlerisch und privat aufspalten, oder meinen Sie wohl?«, erwiderte sie.
    Werthen hatte mittlerweile jegliche Scheu vor der Sängerin verloren; stattdessen wurde er zunehmend gereizter durch ihr Benehmen. Und dieser Mahler! Was hatte der Mann sich dabei gedacht, die Natur ihrer Mission einfach auszuplaudern? Er hatte gehofft, die Frau unvorbereitet vorzufinden und sie vielleicht aus dem Gleichgewicht bringen zu können. Jetzt jedoch hatte sie das Gespräch fest in der Hand. Sie konnten es genauso gut dabei bewenden lassen.
    »Warum bestürzt Sie das so, Herr Rechtsanwalt?«, fragte sie. »Wie ich schon sagte, Mahler und ich haben keine Geheimnisse voreinander. Wir mögen zwar nicht mehr verlobt sein, aber die seelische Verbindung zwischen uns ist bestehen geblieben.«
    »Ganz gewiss«, erwiderte Werthen, der es eilig hatte, auf ein anderes Thema zu kommen. »Sie kannten die junge Kaspar?«
    »Selbstverständlich. Sie war eine Sängerin an der Hofoper, genau wie ich selbst. Waren wir Freunde? Vertraute? Wohl kaum. Sie war eine viel zu langweilige Person für mich. Aber für Mahler, oh, für ihn war sie genau richtig. Formbar. Sie war jemand, den er sich zurechtbiegen, aufbauen konnte.«
    »So wie er es mit Ihnen gemacht hat?«, fragte Werthen geradeheraus.
    Sie nickte. »Genau wie mit mir. Aber ich hatte ja bereits zu Beginn meiner Karriere den wundervollen Unterricht von Rose Papier am Konservatorium genossen und später die unschätzbare Hilfe Cosima Wagners bei der Interpretation der Werke

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