Wiener Requiem
ihres Mannes erhalten. Wohingegen Fräulein Kaspar … nun, immerhin hatte sie Mahler.«
»War sie ein Naturtalent?«
»Nein, keineswegs. Sie war eine recht nette Soubrette und ein perfekter Mezzo. Mahler jedoch hatte sich vorgenommen, eine Belcanto-Sängerin aus ihr zu machen.«
»Waren Sie bei der Probe dabei, als die unglückliche junge Frau starb?«, warf Gross ein.
»Zum Glück nicht. Das hätten meine Nerven nicht ertragen, den armen Mahler so in Gefahr und dem Tode nahe zu sehen!«
»Immerhin ist Fräulein Kaspar dabei ums Leben gekommen«, sagte Werthen scharf.
Plötzlich fiel die melodramatische Verzückung von Anna von Mildenburg ab; sie fixierte ihn mit einem eiskalten Blick.
»Das war tragisch, gewiss. Aber eben nur ein unglückliches Nebenprodukt.«
»Nebenprodukt?«
»Des Angriffs auf das Leben Mahlers. Deshalb sind Sie doch hier, oder? Sie sind doch wohl hoffentlich nicht der Ansicht, dass die Kaspar das eigentliche Opfer gewesen ist. Für wen wäre dieses verhuschte kleine Geschöpf wohl schon so von Belang gewesen, dass er einen Feuervorhang auf sie hätte herabstürzen lassen?«
»Sie war doch ein vielversprechendes Talent, oder nicht?«, sagte Gross.
»Vielversprechend vielleicht. Übrigens war sie auch keine Bedrohung für andere Sängerinnen. Mitzi hatte das Ensemble bereits verlassen.«
»Sie sprechen von Mitzi Brauner?« sagte Werthen.
Sie lächelte anerkennend. »Wie ich sehe, haben wir einen Opernfreund unter uns.«
Werthen ignorierte die Bemerkung, blickte ihr aber direkt in die Augen, um sie wieder auf den Pfad zu zwingen, von dem sie fortwährend abschweifen wollte.
»Ja, Mitzi Brauner«, fuhr von Mildenburg fort. »Sie ist nach Aachen gegangen. Das ist zwar kein großes Haus, aber schließlich war ihre große Zeit auch vorbei. Sie hatte nicht mehr das Aussehen, um Soubrettenrollen zu spielen. Die kleine Kaspar hatte also freie Bahn.«
»Und was ist mit der Affäre zwischen Fräulein Kaspar und Mahler?«, fragte Werthen. »Gab es da …?«
»Verärgerte, eifersüchtige und verschmähte Liebhaberinnen, die ihr am liebsten die Augen ausgekratzt hätten?«, beendete sie seinen Satz und lachte anschließend schallend. »Wohl kaum. Wenn ich es richtig sehe, hat Mahler in den knapp zwei Jahren seines Engagements hier in Wien etliche Eroberungen gemacht. Aber da gab es am Ende keine verletzten Gefühle, genau wie es zwischen Mahler und mir keine gibt. Man kann ein Licht nicht unter den Scheffel stellen. Wir anderen Künstler erkennen so etwas an.«
»Es gab also keine niederen Gefühle wie Eifersucht«, stellte Werthen fest.
»Bezweifeln Sie es gern, wenn es Ihnen gefällt«, entgegnete die Mildenburg schnippisch.
Langsam kommen wir voran, dachte Werthen.
»Stehen Künstler also über normalen menschlichen Emotionen?«, drängte er weiter.
»Wie soll ich das jemandem erklären, der nichts mit Kunst zu tun hat?«
»Aber, ich bitte Sie, meine Teuerste«, warf Gross ein. »Wer then ist immerhin ein geschätzter Autor. Seine Kurzgeschichten wurden hoch gepriesen.«
Werthen warf ihm einen scharfen Blick zu, aber der Kriminologe hatte viel zu viel Spaß an diesem Scharmützel, um ihm Aufmerksamkeit zu schenken.
»Davon wusste ich ja gar nichts«, sagte Anna von Mildenburg und betrachtete Werthen.
»Das ist einer der Gründe, aus dem Mahler ihn beauftragt hat, denn der gute Werthen versteht die Launen der Künstler. Weil er selbst einer ist.«
Wie immer bereitete es Gross ein diebisches Vergnügen, etwas zu dick aufzutragen. Aber es amüsierte Werthen auch zu sehen, wie die Mildenburg plötzlich ihr Verhalten veränderte.
»Also können Sie es verstehen«, sagte sie und beugte sich zu Werthen hinüber, als wollte sie ein wohlbehütetes Geheimnis preisgeben. »Sehen Sie, diese Art von Eifersucht kann es in diesem Falle nicht geben. Ich meine, Mahler möchte von einer Frau Besitz ergreifen, aber nicht auf körperliche Weise. Er will ihre Seele, nicht ihren Körper. Seine Eroberungen waren solche der Seele, nicht des Fleisches.«
»Sie meinen Sie und er …?«
»Genau. Als hätte ein Schwert zwischen uns im Bette gelegen. Es gibt keine verschmähten Geliebten, denn es gab keine Liebenden.«
5. KAPITEL
Der Tod erzwang einen Waffenstillstand zwischen Werthen und Gross.
Der schmächtige, fast schon dürre Kommissar Bernhard Drechsler leitete die Untersuchung in der kleinen Wohnung im Ersten Bezirk. Drei bullige Gendarmen warteten gelassen vor der Tür, während Werthen und
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