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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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Blick.
    »Einverstanden?«, drängte Gross.
    Werthen nickte bedächtig. Aber er spürte einen Anflug von Enttäuschung, dass Gross es so geschickt verstanden hatte, sich in den Fall einzuschleichen.
     
    Gross konnte zwar behaupten, dass er lediglich beraten wolle, aber ob er sich wirklich damit zufriedengeben würde, bei einer Ermittlung die zweite Geige zu spielen, stand auf einem ganz anderen Blatt.
    Am nächsten Morgen planten sie schon beim Frühstück ihr weiteres Vorgehen. Klugerweise schwieg Berthe, während die Männer sich berieten. Sie einigten sich schnell auf die ersten Schritte ihres Vorgehens. Alma Schindler und ihre Motive wurden vorerst zurückgestellt. Als Erstes wollten sie etwas über das Leben des unglücklichen Fräulein Kaspar in Erfahrung bringen, die von dem Feuerschutzvorhang erschlagen worden war. Sollte sie gar das auserkorene Opfer dieses »Unfalls« gewesen sein, würde das die Vermutung stützen, dass dieser Anschlag ursprünglich auf Mahler gezielt hatte.
    Wie der Zufall es wollte, kannte Gross den Untersuchungsrichter der Region Waldviertel, aus der die junge Sopranistin stammte. Ein Anruf genügte, und sie konnten damit beginnen, Informationen über die Frau zusammenzutragen. Gab es einen eifersüchtigen oder zurückgewiesenen Liebhaber? Oder einenGesangslehrer, dem sie über den Kopf gewachsen war? Gab es jemanden, irgendjemanden, der ein Motiv haben könnte, Fräulein Kaspar zu töten? Man würde auch Befragungen an der Hofoper durchführen müssen, um zu erfahren, ob eine der anderen Sängerinnen in ihr eine Gefahr für die eigene Karriere gesehen hatte.
    »Berufliche Eifersucht kann ein sehr mächtiges Motiv darstellen«, betonte Gross. »Das Theater ist ein äußerst gefährlicher Arbeitsplatz.«
    Werthen nickte. »Und lassen Sie uns nicht vergessen, dass wir es möglicherweise mit einer niederen Form der Eifersucht zu tun haben. Mahler hat bereits zugegeben, dass Fräulein Kaspar seine Geliebte war. Wer weiß, wie viele andere Sängerinnen dieser Mann schon verführt hat. Vielleicht hat eine von Ihnen es nicht ertragen, eine neue Favoritin herumstolzieren zu sehen.«
    »Anna von Mildenburg zum Beispiel«, warf Berthe plötzlich ein. Sie sprach von der österreichischen Wagner-Sopranistin, die kürzlich von der Hamburger Oper, an der Mahler zuvor dirigiert hatte, an die Hofoper gewechselt war.
    »Wie kommst du darauf?«, wunderte sich Werthen.
    »Indem ich
niveaulose
Zeitungen lese, wie du sie so gerne nennst. Man kann dort alle möglichen interessanten Informationen entdecken. Die Zeitungen waren voll mit dieser Affäre, als die Mildenburg engagiert wurde. Es scheint, als hätten sie und Mahler in Hamburg eine längere Beziehung gehabt.«
    »Da haben Sie es, Werthen«, verkündete Gross. »Das ist doch ein Ausgangspunkt.«
    Nachdem ihre ersten Einschätzungen des Falles abgeschlossen waren, stellte sich nun die dringliche Frage nach dem weiteren Vorgehen.
    »Die Liste der Feinde Mahlers könnte recht umfangreich sein«, sagte Gross. »Wie ich hörte, ist er ein strenger Arbeitgeber. Ein Perfektionist. Nicht die Art von Persönlichkeit, mit der sich gewisse Wiener gut verstehen.«
    Gross bezog sich auf den wienerischen, wenn nicht gar österreichischen Hang zur
Schlamperei
bei der Arbeit. Mahler erwartete von seinen Sängern mehr als nur durchschnittliche Leistungen; er forderte ihnen das Beste ab, oder aber man legte ihnen nahe, sich eine anderweitige Anstellung zu suchen. Werthen konnte sich gut vorstellen, dass es an der Hofoper viele gab, die Mahler mit seinem Perfektionismus vor den Kopf gestoßen hatte. Aber er wollte Gross nicht noch unterstützen, denn er verstand nur zu gut, in welche Richtung Gross’ Gedanken führten.
    »Als Erstes müssen wir eine Liste aller Verdächtigen zusammenstellen«, sagte Gross und bestätigte damit den Verdacht Werthens. »Ich bezweifle allerdings stark, dass wir viel Kooperation von der Opernverwaltung erwarten können. Schließlich wollen sie vor allem der ganzen Welt signalisieren, dass an der Hofoper alles in Ordnung wäre.«
    Gross wartete einen Moment auf eine Antwort, als diese jedoch ausblieb, fuhr er unbekümmert fort: »Nein, was wir brauchen, sind ein paar Klatschgeschichten alter Schule von jemandem, der weiß, wo der Hund begraben liegt. Vielleicht sogar von irgendeinem Journalisten.«
    Gross sprach das Wort »Journalist« mit solcher Abscheu aus, dass Werthen wider Willen schmunzeln musste. Tatsächlich kannte Werthen genau

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