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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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Renaissancetisch zusammengedrängt. Der Stuhl, auf dem Gunther gestanden hatte, bevor er sich erhängte, stammte offensichtlich aus diesem Esszimmer. Fast in der Mitte des Wohnraums stand ein einzelner, unglaublich scheußlicher, massiver Armsessel, flankiert von einem Intarsientisch. An den Wänden hingen verschiedene Kunstdrucke: Vermeer, Hals, Brueghel. Gunthers Geschmack tendierte zur Holländischen und Flämischen Schule; alles Insignien der Kultur also, aber nichts passte wirklich zusammen, es war ohne jedes Gefühl für Stil zusammengestellt. Werthen brauchte nicht in das kleine, hintere Schlafzimmer zu gehen, um zu wissen, dass dort vermutlich ein einzelnes Bett und ein riesiger Schrank stehen würden, beide im schweren altdeutschen Stil oder im imitierten altenglischen Stil.
    Gross arbeitete noch immer unterhalb von Gunthers Leiche. Er photographierte den Schauplatz aus verschiedenen Blickwinkeln, wodurch der Raum kurzzeitig vom Blitzlicht erhellt wurde.
    Ansonsten war das Zimmer kaum beleuchtet; das einzige Licht kam von zwei Gasleuchten an der Wohnzimmerwand, denn der Kronleuchter war lediglich eine Attrappe, die nicht funktionierte. Werthen wunderte sich, dass der Kronleuchter das Gewicht des toten Geigers hielt. Er ging zum einzigen Fenster des Wohnzimmers, das auf einen Lichtschacht hinausführte. Gunthers Adresse, die Herrengasse, war zwar durchaus vornehm, aber seine vollgestopfte Wohnung lag auf der Rückseitedes Gebäudes, welches einmal der Stadtpalais der Familie Lobkowitz gewesen war. Vielleicht waren dort damals die Bediensteten der Familie untergebracht gewesen. Aber nach dem Umbau des alten Stadtpalais im letzten Jahrzehnt war die Wohnung nun abgeschlossen und besaß keine Verbindung zum Haupthaus.
    Werthen wusste, dass die Musiker an der Hofoper nur wenig verdienten. Die Arbeit war eher ein gesicherter Ruheposten – zumindest war sie dies vor Mahlers Schreckensherrschaft an der Hofoper und bei den Philharmonikern gewesen –, aber diese Sicherheit hatte einen hohen Preis. Gunther hatte offensichtlich gerade genug verdient, um als alleinstehender Mann davon leben zu können; so war die Geige seine Gefährtin geworden, ob nun aus Absicht oder aus Not. Ein trauriges Leben, dachte Werthen. Der Kunst gewidmet, gewiss, aber wenn man dann aus der erhabenen Welt der Musik nach Hause in eine solch bedrückende Umgebung kam … Wieder einmal erstaunte es Werthen, dass sich der Sinn für das Schöne nicht in allen Aspekten eines Lebens verwirklichte. Es überraschte ihn, dass ein Mann wie Gunther, von dem man annehmen sollte, dass er von der Schönheit der Musik erfüllt gewesen war, in einer solch scheußlichen Umgebung leben konnte. Vielleicht jedoch hatte Gunther, wie viele Wiener, den größten Teil seiner freien Zeit in seinem Lieblingskaffeehaus verbracht und nicht in den engen Räumen seiner unwirtlichen Wohnung.
    Werthens Grübeleien wurden durch ein Schnauben von Gross unterbrochen.
    »Selbstmord, pah! Das ist vollkommener Blödsinn.«
    Bei dieser Bemerkung wurde auch Drechsler munter.
    »Nun, ich gebe zu, dass das Fehlen eines Abschiedsbriefesverdächtig ist. Aber was bringt Sie zu dieser Einschätzung, ohne dass Sie den Leichnam des Opfers einer rechtsmedizinischen Untersuchung unterzogen haben?«
    Bei dieser Bemerkung stellte Gross einfach den Stuhl aufrecht und platzierte ihn direkt unter die herabhängenden Füße von Gunther. Die Schuhspitzen des Opfers schwebten fünf Zentimeter über der Sitzfläche in der Luft.
    »Verflucht noch mal«, sagte Drechsler. »Schneidet ihn ab.« Er winkte den Gendarmen zu, die nun die Arbeit zu Ende führten, die sie am liebsten schon vor Eintreffen des Inspektors hinter sich gebracht hätten.
    Sie legten den Leichnam vorsichtig auf den Boden, und Gross beugte sich für eine rasche, erste Untersuchung hinunter. Drechsler, dessen Habichtsgesicht durch einen Überbiss verunstaltet wurde, hockte sich neben ihn.
    Der Inspektor übernahm nun die Leitung; er fuhr mit dem Zeigefinger unter die Vorderseite der Schlinge. Die direkt darunterliegende Haut zeigte weder einen Bluterguss noch eine Verbrennung durch die Reibung der Kordel. Mit geschlossenen Augen tastete er mit der Hand nun zur Rückseite des Kopfes, um den beim Erhängen typischen Bruch in der Halswirbelsäule zu ertasten. Er schüttelte den Kopf.
    »Amateur«, stieß Gross hervor. Es schien die schwerste Beleidigung zu sein, die er sich vorstellen konnte. »Als wäre es ihm nicht wichtig gewesen, auch

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