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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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nur zu versuchen, uns zu täuschen.«
    Werthen vermutete, dass sich Gross’ Worte nicht auf den toten Mann, sondern den unbekannten Angreifer bezogen.
    »Vielleicht wusste er nicht, dass Sie die Untersuchung führen würden, Dr. Gross.« Werthen hatte den Eindruck, in denWorten Drechslers einen Hauch von Ironie vernommen zu haben.
    »Dieser Fall wäre sehr wahrscheinlich als Selbstmord durchgegangen«, erwiderte Gross gelassen, »wenn es nach den Erkenntnissen Ihrer Gendarmen gegangen wäre. Der Täter hat sich vielleicht auf die hohe offizielle Selbstmordrate in Wien verlassen, die nur allzu oft die wahren Verbrechen verdeckt.«
    »Er?«, fragte Werthen. Selbstverständlich wusste er, was Gross meinte. Aber es schien Werthen ungerecht, dass er die Möglichkeiten der Deduktion nicht nutzen sollte, wenn der Meisterkriminalist zugegen war.
    »Zeigen Sie mir eine Frau, der es möglich gewesen wäre, Herrn Gunther hier aufzuhängen, und ich verhafte sie mit Vergnügen.«
    »Festnahmen, denke ich, fallen noch immer in meinen Bereich«, warf Drechsler etwas pikiert ein.
    »Das war nur so eine Redensart«, gab Gross reumütig zu.
    Beschwichtigt führte Drechsler seine Untersuchung fort. »Die Abwesenheit von Strangulierungsmalen an der Vorderseite des Halses deckt sich mit der offensichtlichen Deutung«, ergänzte Drechsler.
    »Welche Deutung?« Werthen hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, aber es war zu spät. Gross und Drechsler wechselten mitleidige Blicke.
    Das war nun wirklich zu viel. Wenn er allein ermittelte, erfasste er sehr schnell sämtliche Implikationen eines Falles. Doch die Anwesenheit von Gross hemmte ihn und schien ihn seines gewohnten Scharfsinns zu berauben. »Ich meine … Sie gehen vermutlich von der Hypothese aus, dass Herr Guntherzunächst getötet und dann aufgehängt worden ist, um es als Selbstmord erscheinen zu lassen.«
    »Bravo, Werthen«, erwiderte Gross. »Genau das denken wir. Obwohl ich vielleicht anmerken darf, dass Ihr Mund noch immer schneller arbeitet als Ihr Verstand.«
    Bei dieser Bemerkung kicherte Gendarm Schmidt leise, wurde jedoch sofort durch einen scharfen Blick von Drechsler zur Ruhe gebracht.
    Werthen wollte sich unbedingt rehabilitieren, also wagte er sich auf dünnes Eis, obwohl forensische Pathologie nicht wirklich zu seinen Stärken gehörte.
    »Das Gesicht des Toten sieht aber doch so aus, als sei der Tod durch Strangulation eingetreten, nicht wahr?«
    Der noch über das Opfer gebeugte Gross bat Drechsler mit einem Blick um Erlaubnis, bevor er die Schlinge entfernte und so die Blutergüsse auf beiden Seiten des Halses freilegte.
    »Genau wie Sie sagen, Werthen, Tod durch Erwürgen. Die Blutflecke auf seinen Wangen, ausgelöst durch das Platzen der Augenkapillaren, sowie die Schwellung und Blaufärbung des Gesichtes, alles weist darauf hin. Sie können hier genau die Umrisse der Finger sehen.« Er presste seinen Daumen in das schmale Dreieck an der Verbindung der Schlüsselbeine des toten Mannes mit dem Hals. »Außerdem ist der Kehlkopf zerquetscht, wenn ich mich nicht täusche, aber nach der Autopsie werden wir mehr wissen.«
    Drechsler stand auf und straffte seinen Rücken. »Motive?«, fragte er. »Ein Musiker gehört doch zu einer eher harmlosen Gattung Mensch. Wer würde ihn denn umbringen wollen?«
    »Genau das, mein lieber Inspektor, beabsichtigen wir herauszubekommen.«Herr Regierungsrat Leitner war keinesfalls hocherfreut, Werthen wiederzusehen.
    »Ich verstehe nicht, inwiefern der Tod des unglücklichen Herrn Gunther mit Ihren Ermittlungen Mahler betreffend zu tun hat.«
    »Es hält uns bei Stimmung«, erwiderte Gross. »Wir sind eben übertrieben neugierig, wenn es um einen gewaltsamen Tod geht.«
    Dass nun Gross mit von der Partie war, schien Leitner zu verunsichern, denn sein besonderer Ruf eilte dem Kriminologen voraus. Leitner lief bei Gross’ Bemerkung rot an, rang seine Hände und versuchte, wenn auch mit wenig Erfolg, das Zucken in seinem Augenlid zu kontrollieren.
    »Höchst ungebührlich«, murmelte er.
    Sie erwiderten nichts, und schließlich verließ Leitner seinen Schreibtisch im Büro der Oper, um sie durch das Labyrinth von Treppen in den Zuschauerraum zu führen.
    Als sie an den Orchestergraben traten, deutete Leitner auf einen Stuhl auf der linken Seite.
    »Dort. Das ist die Position des dritten Geigers. Herr Gunther saß am gestrigen Abend zur Abschlussaufführung der Saison genau auf diesem Stuhl.«
    Ohne um Erlaubnis zu fragen,

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