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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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sprang Gross in den etwas tiefer liegenden Graben, setzte sich auf den betreffenden Stuhl und spähte nach oben auf die Bühne.
    »Der Vorhang müsste geöffnet werden, wenn es Ihnen nichts ausmacht, Herr Regierungsrat Leitner.«
    Leitner zögerte, deshalb fuhr Gross fort: »Das dürfte doch eine recht einfache Angelegenheit sein, oder nicht?« Der Kriminologe schmunzelte mit gespielter Liebenswürdigkeit.
    »Es wird einen Moment dauern«, erwiderte Leitner. Er ließ Werthen und Gross zurück, um einem Bühnenarbeiter den Auftrag zu erteilen.
    »Überprüfen sie den Blickwinkel, Gross?«, fragte Werthen, als sie allein waren. »Es wäre besser, wenn Sie ein wenig auf dem Stuhl vorrutschen würden, denn Gunther war kleiner als Sie.«
    Gross wollte etwas anmerken, befolgte dann aber nur den Rat Werthens.
    »Ja, genau wie ich es mir gedacht habe«, sagte er, als der Vorhang sich öffnete. Er sprang vom Stuhl auf und reichte Werthen die Hand. »Ich benötige Ihre Hilfe, Werthen.«
    Als Werthen dem Kriminologen aus dem Orchestergraben half, erstaunte ihn der feste Griff des Freundes ein wenig.
    »Ich bin unserem gemeinsamen Freund Klimt zu Dank verpflichtet«, erklärte Gross und wischte sich imaginären Staub von seiner grauen Hose. »Er empfahl mir ein paar Stunden Hanteltraining, obwohl ich eigentlich ein
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-Anhän ger bin, also lieber mit Keulen arbeite. Jedenfalls haben diese Übungen Wunder für meine Ausdauer und Beweglichkeit bewirkt. Früher hätte ich nicht einmal im Traum gewagt, einfach so in einen solchen Graben zu springen.«
    »Ihre Übungen sind mir im Moment eher gleichgültig, Gross. Sagen Sie schon, haben Sie gefunden, was Sie meiner Ansicht nach suchten?«
    In diesem Moment kehrte Leitner zurück.
    »Zufrieden, meine Herren?«
    »Äußerst zufrieden, ja«, antwortete Gross.
    Der Tonfall des Kriminologen gefiel Leitner ganz und gar nicht. »Falls ich Ihnen noch irgendwie behilflich sein kann …« Er klang nur mäßig engagiert.
    »Sie führen doch vermutlich Anwesenheitslisten für die Orchestermitglieder, vor allem bei den Proben, nehme ich an?«
    »Allerdings.« Leitner nickte bedächtig.
    »Nun dann …?« Gross schwenkte auffordernd die Arme.
    In Leitners Büro legte ihnen der Herr Regierungsrat ein Hauptbuch von beträchtlicher Größe vor, welches die Zeitpläne für jeden Musiker und jeden Sänger enthielt. Mit seinem Zeigefinger folgte Gross den Einträgen für Mai und Juni. Dann seufzte er befriedigt auf.
    »Vielen Dank, Herr Regierungsrat Leitner, Sie haben uns sehr geholfen.«
    Als Werthen Leitners fragenden Blick auffing, hob er nur die Brauen, als wollte er sagen, dass er genauso im Dunkeln tappte wie der Stellvertretende Direktor. Und zum Teil stimmte dies auch.
    Sie hatten kaum das Büro verlassen, als Werthen Gross aufhielt, indem er ihn am Arm packte.
    »Ich vermute, Sie haben die Anwesenheit Gunthers während der anderen Vorfälle überprüft.«
    »Genau, Werthen. Das habe ich. Und er war erwiesenermaßen bei allen Vorkommnissen anwesend.«
    Werthen schüttelte seinen Kopf. »Aber das beweist doch …«
    »Nur sehr wenig, wenn man nicht den Blickwinkel von seinem Orchesterstuhl aus berücksichtigt.«
    »Sie meinen Herrn Gunthers Blick vom Stuhl des dritten Geigers?«
    »Ganz richtig. Gunther ist eindeutig Zeuge dieser Vorfälle gewesen.«
    »Wie ich es mir dachte«, sagte Werthen.
    »Zumindest war er Zeuge des Todes von Fräulein Kaspar«, betonte Gross bedeutungsvoll.
    Werthen nickte nur. »Ja, natürlich. Gunther hatte aus seiner Position vermutlich einen perfekten Blick auf den Schnürboden und die Person, die den Feuervorhang gelöst haben könnte.«
    Gross nickte anerkennend. »Sehr gut, Werthen. Ich glaube, Sie werden schon bald ein Meister der kriminologischen Ermittlung sein.«
    »Das heißt«, Werthen ignorierte den Einwurf einfach, »dass unser Täter offenbar entschlossen ist, seine vorangegangenen Versuche zu vertuschen. Wenn dies so sein sollte, liegt auch die nächste Folgerung auf der Hand: Mahler ist tatsächlich in großer Gefahr.«
     
    Es war typisch Mann, einfach loszustürmen und so alberne alltägliche Dinge wie den reibungslosen Gang der juristischen Kanzlei der Sorge der Frau zu überlassen. Berthe schätzte Dr. Gross, hätte es aber dennoch vorgezogen, wenn er zu einem anderen Zeitpunkt aufgetaucht wäre. Gerade hatten Karl und sie begonnen, als Team zu ermitteln – und das hatte Spaß gemacht. Kaum aber war der große Kriminologe zur Stelle, lief

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