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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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Shakespeare-Präsentationen und Lesungen eigener Texte. Dazu war Werthen ein weiterer Aphorismus zu Ohren gekommen: »Wenn ich vortrage, so ist es nicht gespielte Literatur. Aber was ich schreibe, ist gedruckte Schauspielkunst.«
    »Im Übrigen denke ich, dass ich Ihnen bei Ihren Nachforschungen behilflich sein kann. Ohne übertreiben zu wollen, darf ich sagen, dass ich ein Kristallisationspunkt der Stadt bin. Wien ist eine Zwiebel. Man sieht das schon in der Stadtplanung, wo sich Ring um Ring legt. Der prächtige Innere Bezirk ist von der Ringstraße umschlossen, die Vororte der Mittelklassen umschließt die Gürtelstraße, und außerhalb dieser liegen dann die ärmeren Bezirke, in welchen die Arbeiter ihre vernachlässigten, vergessenen Existenzen führen.«
    Gross wollte erneut den Krausschen Redefluss unterbrechen, aber Werthen stieß ihn unter dem Tisch kurz mit dem Fuß an, da er spürte, dass Krauss nun zu ihrem Anliegen zurückfand.
    »Ich bin ein Teil dieser übelriechenden Zwiebel, meine Herren, vielleicht sitze ich gar genau in ihrem Zentrum. Als Verleger höre ich so manches. Menschen schreiben mir, siehalten mich auf der Straße an, um mir Geheimnisse mitzuteilen, und sie hinterlassen ihre Botschaften beim Oberkellner in einem der von mir bevorzugten Kaffeehäuser. Ich höre auch so etliches durch meine Kontakte zu dem gebildeten Wien. Einige wenige Freunde und ich haben einen Stammtisch im Café Central, wir treffen uns dort wöchentlich, um zu diskutieren. Wir sprechen über die Welt, die dieser Hexenkessel Wien darstellt. Diese Freunde gehören nun wiederum auch anderen Zirkeln an, da ist Freud oder Schnitzler, Klimt, Loos, Viktor Adler und Mach. Und, was für Sie von besonderer Wichtigkeit sein dürfte: eben auch Mahler.«
    Er warf ihnen ein weiteres schmallippiges, reptilienartiges Lächeln zu. Seine Augen funkelten hinter den Brillengläsern.
    »Und was ist nun der langen Rede kurzer Sinn, Herr Kraus?«, sagte Gross, der langsam die Geduld verlor.
    »Dr. Gross, ich bin sicher, dass Sie die lange Version der Geschichte nicht ertragen könnten, weil Sie vorher gewiss ein Schlaganfall treffen würde.«
    »Dann gewähren Sie uns eben das Vergnügen der kurzen Version«, sagte Gross.
    »Die Liste von Mahlers Feinden ist umfangreich«, sagte Krauss. »Aus dem Stehgreif könnte ich mir verschiedene Verdächtige vorstellen. Wirklich zu schade, dass Sie Frauen aus diesem Kreis ausschließen …«
    Werthen hatte Krauss bis zu einem gewissen Grade ins Vertrauen gezogen, gerade genug, um in groben Umrissen die mögliche Gefährdung Mahlers zu verdeutlichen. Würde Kraus diese Bedrohung in irgendeiner Weise in seinem Journal verwerten? Kraus hatte zwar sein Ehrenwort gegeben, dies nicht zu tun, aber Werthen hätte keinen Gulden darauf verwettet.
    »… ich kenne Gerta Rheingold persönlich. Sie wäre sicher entzückt über Mahlers Ableben.«
    »Der Mozart-Sopran der Hofoper?«, erkundigte sich Werthen.
    »Genau, und ihre Klage ist wirklich ganz köstlich. Bei den Proben zur
Zauberflöte
im vergangenen Monat wurde sie gezwungen, die Zeilen ›Stirb, Ungeheu’r, durch unsre Macht!‹ dreißig Mal hintereinander zu singen, da Mahler mit ihrem Vortrag unzufrieden gewesen war. Schließlich schleuderte die Sängerin diese Zeilen ganz einfach Mahler selbst entgegen, woraufhin die Probe unterbrochen wurde. Gewiss, sie ist eine Frau. Ich denke jedoch, dass man in der heutigen modernen und frauenbewegten Zeit auch Frauen unbedingt zu den möglichen Schurken zählen sollte. Denn was ist die
befreite
Frau anderes als ein Fisch, der sich seinen Weg ans Ufer erkämpft hat.«
    Ein weiteres Bonmot, das schon bald den Seiten der
Fackel
die richtige Würze geben wird, dachte Werthen.
    »Können wir uns vielleicht den männlichen Kandidaten zuwenden?«, drängte Gross nun. Er wirkte in den zierlichen Bugholzstühlen fehl am Platze, schien sich völlig unwohl zu fühlen, und seinen Kaffee hatte er auch längst ausgetrunken.
    »Nun gut, ich an Ihrer Stelle würde Herrn Hans Richter befragen. Er war einer der Dirigenten unter dem vormaligen Direktor Jahn und konnte sich berechtigterweise Hoffnungen machen, selber zum Nachfolger ernannt zu werden. Und dann tauchte Mahler, der Thronräuber, an der Hofoper auf. Das war eine sehr heikle Angelegenheit. Und Leitner selbst würde natürlich ebenfalls ganz oben auf einer solchen Liste stehen.«
    »Und wieso das?«, erkundigte sich Werthen.
    »Er zählte zunächst zu den Unterstützern

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