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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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Umgebung; das klare, tiefe blau-schwarze Wasser des Alpensees, der von den Gipfeln des Losers und anderer Berge umgeben war, redete vom versteckten Charme des ruhigen Dorfes mit seinen paar hundert Bewohnern, pries die vortrefflichen Wander- und Radwege.
    »Wie idyllisch.« Werthen konnte nur mit Mühe zwischen den überschwänglichen Ausführungen Mahlers eine Bemerkung einflechten.
    »Finden Sie? Ja, ich glaube, es wird Ihnen gefallen.«
    Werthen wartete einen Moment, um sicherzugehen, dass er Mahler richtig verstanden hatte.
    »Sie möchten, dass ich Sie begleite?«
    »Nicht begleiten, bewachen wäre vielleicht der richtige Ausdruck.In unserer Villa ist leider kein Zimmer mehr frei, aber im Dorf finden Sie eine gute Unterkunft im Hotel am See. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, aber ich habe mir bereits die Freiheit genommen, dort ein Zimmer für Sie zu reservieren. Zu dieser Jahreszeit kann man diesbezüglich nicht vorsichtig genug sein.«
    »Herr Mahler …«, setzte Werthen an.
    Mahler unterbrach ihn. »Diese beiden siamesischen Leibwächter würden in einer solch lieblichen Umgebung viel zu sehr auffallen, Werthen. Nein, ich glaube, Sie eignen sich am besten als mein persönlicher Beschützer, wenn Sie einen Schutz denn für notwendig halten.«
    Mahler hatte also die beiden Leibwächter entdeckt, dachte Werthen. Es war wohl nur eine Frage der Zeit gewesen. Aber dass Mahler über den Sommer umziehen würde, war ihm neu. Vielleicht war es am besten so. Was konnte ihm auf dem Land schon passieren? Ihr namenloser Widersacher würde in solcher Umgebung nur widerwillig zuschlagen. Jeder Eindringling müsste dort sofort bemerkt werden.
    »Herr Werthen? Sind Sie noch da?«
    Werthen sah über die Schulter in das Wohnzimmer, in dem Berthe saß und las. Ein Schimmer des Gaslichtes tauchte ihr Gesicht in einen warmen orange-gelben Schein, sie hatte die Lippen vor Konzentration fest zusammengedrückt. Ein Gefühl plötzlicher und überwältigender Liebe überkam ihn.
    »Ja«, antwortete er.
    »Wir sehen uns also dann auf dem Land?«
    »Ja, gut.«
    »Wunderbar«, sagte Mahler, wenn auch wenig begeistert. »Bis morgen also.«
    Werthen fand es scheußlich, dass er Berthe in Wien zurückließ, aber es musste ein neuer Juniorpartner für die Kanzlei gefunden werden. Berthe versicherte ihm, dass sie sich darum kümmern würde, und Gross war es nur recht, die Untersuchungen und Gespräche in Wien weiterführen zu können. Gross war bestimmt insgeheim erleichtert, dass er die Untersuchung nun auf eigene Faust führen konnte. Alles sprach also dafür, Mahler aufs Land zu folgen. Sicherlich musste er nicht die ganzen sechs Wochen bleiben, die der Komponist dort zu verbringen gedachte. Werthen beabsichtige, eine Bestandsaufnahme zu machen und dann die erste Gelegenheit zu ergreifen, um nach Wien zurückzukehren.
    Er bestieg den Salzburg-Express am Donnerstag, Schuldgefühle mischten sich mit einem Gefühl freudiger Erwartung angesichts der vor ihm liegenden Zeit auf dem Lande, denn in Wien war es unter einem dunstigen blauen Himmel bei hoher Luftfeuchtigkeit sehr drückend.
    In meteorologischer Hinsicht erwartete ihn das direkte Gegenteil, sobald er den schmalen Zug in Altaussee verlassen hatte.
    Es regnete die nächsten beiden Tage. Ein leichter Dauerregen, der die schon lange verblühten Fliederhecken wie Trauerweiden herabhängen ließ.
    Werthen stieg im Hotel am See ab, ein riesiges Alpenhaus, das mit Hirschgeweihen und anderen Zeichen der Gemütlichkeit prunkte, wie den Tiroler Vorhängen, dicken Daunendecken auf den Betten und frischer Butter auf hausgemachten Semmeln zum Frühstück. Würde der Flaneur Graf Joachim von Hildesheim, einer der Helden aus Werthens Kurzgeschichten, das Hotel beschreiben, würde er wohl die Worte »auf hartnäckige Weise bezaubernd« wählen.
    Werthen selbst erlag fast widerstrebend dem Charme der freundlichen Gastgeber und Hotelbesitzer, der Familie Wolf. Sie waren zu gut, um echt zu sein: freundlich, gutmütig und nahezu überschäumend um das Wohlbefinden ihrer Gäste besorgt. Manchmal sind die Dinge eben wirklich so, wie sie zu sein scheinen, sagte er sich und nahm sich vor, sich einfach wohlzufühlen. Die Wolfs waren tatsächlich fast zu gut, um real zu sein: drei blonde, junge, in Dirndl gewandete Töchter servierten im Speiseraum. Ihre rosigen Wangen waren eine ständige Ermahnung an Werthen, sich mehr an die frische Luft zu begeben und sich zu bewegen, auch wenn er sich an frischem

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