Wiener Requiem
freundlich von Ihnen, Dr. Ungar.«
»Aber ich muss nochmals betonen, dass ich von meiner Entscheidung nicht abzubringen bin. Wenn man jedoch die Inschrift des Schildes ändern könnte …«
»Ja«, sagte sie, um ihrem Ärger Luft zu machen, »es ist wirklich bedauerlich. Aber dann werden wir wohl irgendwie ohne Sie zurechtkommen müssen. Wann genau wird Ihr letzter Tag sein?«
Sie freute sich darüber, dass sein Kneifer bei dieser Bemerkung ins Rutschen geriet.Adolf Loos, der auch Architekturkritik für
Die Fackel
verfasste, hatte das Interieur des neu eröffneten
Café Museum
gestaltet. Werthen und Gross saßen hier zusammen, um endlich ihr Gespräch mit dem jungen Journalisten Karl Kraus zu führen. Sie wollten ihn mit ihren Fragen förmlich löchern, um möglichst von allen Gerüchten zu erfahren, die auch nur ansatzweise Mahler betrafen.
Ein scherzender Journalist hatte für das Café den Spottnamen »Café Nihilismus« geprägt. Loos’ moderner Entwurf eines schmucklosen Interieurs entsprang seiner Verachtung für jenen ornamentalen Stil, der noch immer dem gängigen Stilgefühl der Wiener entsprach. Den einzigen Schmuck bildeten Messingbänder an der gewölbten Decke des Cafés, aber auch diese hatten eine Funktion, verhüllten sie doch die elektrischen Leitungen. Nackte Glühbirnen hingen von den Messingbändern herab. Rote Bugholzstühle, die Loos selber entworfen hatte, bildeten einen starken Kontrast zu den hellgrünen Wänden.
Gross, der eher Geschmack an Palmenkübeln und Karyatiden-Säulen fand, schien sich in dieser minimalistischen Umgebung unwohl zu fühlen. Werthen dagegen fühlte sich auf Anhieb wie zu Hause in diesem modernen Ambiente.
»Ihnen ist natürlich klar, dass der Journalismus der Kropf der Welt ist«, gab Kraus leutselig zum Besten.
Wie soll man auf eine solche Bemerkung reagieren, dachte Werthen, außer einfach weise zu nicken? Der Aphorismus, der schockierte, galt als eine Kraussche Spezialität.
»Kropf« oder nicht, der Journalismus war immerhin auch die Profession, der Kraus selbst nachging. Er war Satiriker und befand sich als selbsternannter Polizist im Dienst gegen nachlässigen Sprachgebrauch, falsche Grammatik, armselige Wortwahlund falsch gesetzte Kommata. Kraus verachtete den schwülen und luftigen Stil, in dem viele Zeitungen ihre Titelseiten auffüllten.
»Ein Feuilleton zu schreiben ist wie Locken auf einer Glatze zu drehen«, fuhr Kraus fort. »Aber das Publikum liebt diese Locken mehr als die Löwenmähne der wirklichen Gedanken.« Er lächelte zu dieser geistreichen Bemerkung; zwischen seinen dünnen Lippen tauchten schiefe Zähne auf.
Er ist eigentlich zu jung, um schon so sehr von sich überzeugt zu sein, dachte Werthen. Und doch nickte er brav über das Bonmot, das er vermutlich schon bald auf den Seiten der
Fackel
würde lesen können, die alle drei Monate erschien. Kraus war ein eher schmächtiger Mann mit einem Lockenkopf, er trug eine Brille mit winzigen ovalen Gläsern, in denen sich das Licht reflektierte. Seine Kleidung entsprach der eines Bankiers. Kraus war das neunte Kind eines böhmischen Juden, der durch Papiertüten zu Reichtum gekommen war. Die finanzielle Unterstützung durch seine Familie erlaubte es Kraus, sich über jedermann in seinem Journal lustig zu machen.
Schon seit einer halben Stunde bemühte sich Werthen, der Unterredung die gewünschte Richtung zu geben – Mahler und seine möglichen Feinde –, aber Kraus wollte davon nichts wissen.
»Herr Kraus«, unterbrach nun Gross den Redefluss des Journalisten. »Ich habe nicht den geringsten Zweifel an Ihren geistigen Fähigkeiten und bin davon überzeugt, dass Sie eine Vielzahl vielschichtigster Bekanntschaften pflegen, aber könnten wir nun bitte zum Punkt kommen?«
Kraus richtete sich in seinem Stuhl auf, als hätte ihn sein Vater beim gemeinsamen Abendessen mit Vorwürfen überhäuft.
»Bitte entschuldigen Sie, meine Herrn. Sie müssen verstehen … meine persönlichen Lieblingsärgernisse.«
Trotz seines eher schwächlichen Körperbaus besaß Kraus eine angenehme Stimme. Als junger Mann hatte er sogar eine Karriere als Schauspieler ins Auge gefasst, scheiterte jedoch an seinem Lampenfieber. Man erzählte, dass er mit neuen Formen der Unterhaltung experimentierte. Er orientierte sich dabei an dem Amerikaner Mark Twain und seinen berühmten Ein-Personen-Shows. Als Gast in den angesagten Salons der Stadt unterhielt er bereits die Kenner, die
cognoscenti
, mit seinen
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