Wiener Requiem
eröffnen, mich Ihrem geschätzten Ehemann persönlich vorzustellen«, fügte er hinzu.
Schnell hatten sie alles arrangiert: Tor würde unverzüglich in Richtung Salzkammergut abreisen. Karl hatte geschrieben, dass er am nächsten Tag zurückkehren wollte. Auf diese Weise konnte Berthe ihm die Unannehmlichkeiten der Reise ersparen. Sie würde ihm umgehend ein Telegramm in sein Hotel senden müssen, um seiner Abreise zuvorzukommen. Sosehr sie auch wünschte, Karl wiederzusehen, sosehr wusste sie, dass er sich zerrissen fühlen würde zwischen den entgegengesetzten Ansprüchen seiner Arbeit, und sie versuchte, es ihm so leicht wie möglich zu machen. Später war noch genug Zeit, ihm die freudige Botschaft zu überbringen. Und nun, da Herr Tor in die Firma eintreten würde, blieb ihr auch das kleine Gespräch mit Karl über die Rentabilität der privaten Ermittlungen erspart.
Es war ein guter Arbeitstag gewesen, dachte sie am Abend, als sie mit ihrer Freundin Rosa Mayreder in der Alten Schmiedezu Abend aß. Schnell wandte sich ihr Gespräch dem Bund der Frauenrechtlerinnen zu, den Mayreder organisierte.
Aber die ganze Zeit über war Berthe mit dem winzigen Leben beschäftigt, das nun in ihr heranwuchs. Die Speisen vor sich nahm sie kaum wahr: ein saftiger Germknödel – ein großer, weißer Knödel, der mit Pflaumenmarmelade gefüllt, mit geschmolzener Butter begossen und mit gemahlenem Mohn und Zucker bestreut wurde. Der Hefegeruch, den sie früher so sehr schätzte, bereitete ihr nun eher ein Unbehagen. Sie schob den Teller von sich, was ihrer Freundin keineswegs entging.
»Seit meiner Eheschließung habe ich ein, zwei Kilo zugenommen«, sagte sie zur Erklärung. Sie war keine Anhängerin des Körperkultes, wie ihn die verstorbene Kaiserin pflegte, die keine Reise ohne ihre Sportgeräte unternommen hatte, dennoch war auch Berthe stolz darauf, sich eine gesunde körperliche Konstitution erhalten zu haben.
Rosa lächelte über ihre Worte, und Berthe verstand, dass man ihr nichts vormachen konnte.
In Wien war Rosa Mayreder eine angesehene Frau. Berthe schätzte sich glücklich, zu ihren Freundinnen gezählt zu werden. Rosa war Autorin, Malerin, Musikerin und Frauenrechtlerin. Sie war sowohl durch ihre eigene Arbeit als auch durch die ihres Mannes, der Architekten Karl Mayreders, mit vielen Kunstschaffenden verbunden, die die neuen Strömungen der Kunst vertraten. Es war tatsächlich Rosas Gatte gewesen, der Adolf Loos den ersten Auftrag erteilt hatte, als der junge Mann von seinem Aufenthalt in Amerika zurückkehrt war.
Berthe hatte Rosa durch ihre Arbeit im Gemeindezentrum kennengelernt; Rosa hatte angeboten, Kinder bei Kunstprojekten anzuleiten. Berthe war von ihrer Wärme und ihrer spielerischenArt beeindruckt gewesen. Rosa hatte selbst keine Kinder, und da sie nun bereits in den Vierzigern war, würde es wohl auch so bleiben. Auch aus diesem Grund hatte sie ihren eigenen Zustand nicht erwähnt; sie wusste nicht, ob die Kinderlosigkeit für Rosa einen Verlust bedeutete oder nicht. Sie hatte nie darüber gesprochen, und Berthe hielt es genauso.
»Und ist dein Ehemann zurzeit mit etwas Interessantem beschäftigt?«, fragte nun plötzlich Rosa, wie um das Thema zu wechseln, das gar nicht offen angesprochen worden war.
Berthes Gesicht leuchtete auf. »Das ist er in der Tat.« Sie senkte ihre Stimme und beugte sich über den Tisch zu Rosa hinüber. Die zwei sahen wie Verschwörerinnen aus, als Berthe die Anstrengungen beschrieb, die sie unternahmen, um Mahler zu schützen.
»O mein Gott!«, stieß Rosa hervor, nachdem Berthe ihre Zusammenfassung beendet hatte. »Man hört natürlich davon, dass er an der Hofoper wie ein Zuchtmeister regiert, aber sollte deswegen jemand versuchen, ihn aus dem Wege zu räumen?«
»Vielleicht gibt es da keinen Zusammenhang mit seiner Musik«, sagte Berthe, »aber das glauben weder Karl noch Dr. Gross.«
»Da ist also noch ein zweiter Zuchtmeister involviert«, sagte Rosa lächelnd in Anspielung auf Gross.
Zustimmend hob Berthe ihre Augenbrauen. »Aber er kann auch ein spaßiger alter Bär sein.«
»Das würde ich gern mal erleben.« Rosa beendete ihr Mahl und legte Messer und Gabel auf ihren Teller. »Wenn man aber mehr darüber weiß, wie sich Mahler schon aufgeführt hat, mag man schon ausreichende Motive für einen Mord finden. Denkdoch an die schmähliche Art, mit der er Hugo Wolf behandelt hat.«
Berthe schnalzte kurz mit ihrer Zunge. »Der arme Mann.«
Wolf, ein
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