Wiener Requiem
»Man hat mir freundliche Anfragen auf dem geprägten Briefpapier des Kaisers zugesandt. Als sollte das Eindruck auf mich machen. Und nun erdreistet man sich, mich mit Hilfe eines Kriminologen einschüchtern zu wollen. Unerhört!« Er schlug mit seiner feisten Faust auf den Schreibtisch, so dass die Tasten der Schreibmaschine durchgeschüttelt wurden.
»Herr Hassler, ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen.«
»Ich spreche von nichts anderem als der Pressefreiheit. Das mag in diesem Land, in dem die offene behördliche Zensur herrscht, einen hohlen Klang haben, denn täglich bleiben weiße Flecken in den Aufmachern der ersten Seiten, weil die Autoritäten im letzten Moment eine Meldung unterdrücken, dieihnen zu heikel erscheint. Diese Zensur nun aber auch auf den Kulturseiten auszuüben ist ein Skandal. Blasphemie.«
Gross begann nun zu verstehen, woher der Wind wehte. Offensichtlich hatte Montenuovos Sekretariat versucht, eine Mäßigung der Kritik Hasslers an Mahler zu erreichen, und nun glaubte der Journalist, in ihm einen weiteren Gesandten des Prinzen vor sich zu haben. Gross entschied sich, den tobenden Reporter keines Besseren zu belehren. Je länger er sein wirkliches Anliegen verborgen halten konnte, umso mehr Auskünfte würde er aus dem impulsiven Mann herausquetschen können.
»Sie müssen zugeben, Herr Hassler, dass Sie mit einigen Ihrer Kolumnen durchaus hart am Wind segeln. Es liegen schließlich etliche Verleumdungsklagen gegen Sie vor.«
Wie Gross es sich erhofft hatte, verstärkte sich der Zorn Hasslers noch.
»Verleumdung! Jedes Wort, das ich drucke, ist wahr. Weisen Sie mir das Gegenteil nach! Mahler ist dabei, die Hofoper zu zerstören, und dies wird von unzähligen Musikern und Sängern bestätigt.«
»Es ist eine Sache, seine Musikalität zu kritisieren, aber eine ganz andere, seine Religionszugehörigkeit als Argument gegen ihn anzuführen.«
»Aber er ist doch ein Jude. Ganz gleich, ob er konvertiert ist, natürlich nur, um sich diese Position zu erschleichen. Einmal ein Jude, immer ein Jude.«
»Wenn das keine Verleumdung ist, dann nennen wir es eben Diffamierung«, warf Gross ein.
»Behaupten Sie, er sei kein Jude?« Hassler grinste listig, als hätte er in einem Verfahren gerade gepunktet.
Gross erlaubte ihm diesen kleinen Triumph, machte es ihmsogar zum Geschenk; sollte Hassler doch glauben, er hätte das Gespräch unter Kontrolle. Vielleicht würde er dadurch leichtsinnig werden.
»Sie haben also höchst persönliche Einwände gegen Herrn Mahler?«, erkundigte er sich.
»Ich kenne ihn auf einer solchen Basis gar nicht, und ich habe auch nicht das geringste Interesse daran.«
»Sie haben ihn nie getroffen? Sie waren also niemals bei einer Probe anwesend?«
»Ich verstehe, worauf sie hinauswollen«, sagte Hassler. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und nickte Gross zu. »Sie wollen, dass es so aussieht, als habe ich keinerlei intimes Wissen über Mahler und sein Regime. So als gäbe ich nur einen Haufen versteckter Anspielungen und Meinungen zum Besten. Aber lassen Sie es sich gesagt sein, Dr. Gross, ich habe meine Quellen. Und ich besuche auch zahlreiche Proben, um zu wissen, was hinter den Kulissen vor sich geht. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Mahler seine Sänger und Musiker tyrannisiert.«
»So wie das unglückliche Fräulein Kaspar? Ich vermute, dass Sie auch bei der Probe anwesend waren, als sie versehentlich zu Tode kam. Ihr nachfolgender Artikel lieferte so viele Details, dass ich vermute, Sie haben es mit eigenen Augen gesehen.«
Hassler massierte mit dem Zeigefinger seine Narbe. »Eine wirklich höchst unglückliche Angelegenheit. Aber nein, ich war persönlich nicht anwesend. Meine Erkenntnisse stammen von einem meiner Informanten aus der Oper, der selbst ein Augenzeuge der Tragödie war. Aber das heißt nicht, dass meine Angaben nicht einhundertprozentig korrekt waren. Ich kannschließlich nicht überall zur selben Zeit sein. An jenem Tag hatte ich an einer Veranstaltung in Graz teilzunehmen.«
Gross sagte dazu nichts, in der Hoffnung Hassler könnte weitere Einzelheiten preisgeben, die seine Abwesenheit beweisen würden.
»Also, auf geht’s«, sagte Hassler. »Überbringen Sie mir die fatale Verwarnung des Oberhofmeisters und lassen Sie mich in meiner Arbeit fortfahren. Oder sind Sie deswegen gar nicht zu mir gekommen? Was ist wirklich Ihre Aufgabe? Woher rührt Ihre Neugierde bezüglich meiner Anwesenheit bei den
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