Wiener Requiem
beinahe behutsam, als würde ihm der Stuhl normalerweise von einem Lakaien untergeschoben.
»Wir freuen uns, nun endlich den großen Kriminologen kennenzulernen.«
Der Gebrauch des königlichen »Wir« für seine eigene Person war Gross natürlich nicht entgangen.
»Es war außerordentlich freundlich von Ihnen, dass Sie sich so kurzfristig Zeit für mich nehmen konnten, Euer Gnaden.«
»Keineswegs! Die ausgezeichnete Arbeit, die Sie in Czernowitz leisteten, ist durchaus nicht unbeobachtet geblieben.«
Gross bedankte sich mit einem leichten Neigen seines Kopfes für das Kompliment.
»Wie kann ich Ihnen behilflich sein?« Montenuovo faltete seine perfekt manikürten Hände vor sich auf dem wuchtigen Schreibtisch.
»Es obliegt mir, Euer Gnaden, Sie über eine Untersuchung zu informieren, die mein Assistent und ich an der Hofoper durchführen.«
»Es handelt sich bei Ihrem Assistenten vermutlich um Advokat Werthen?«
Was sagten noch seine Kritiker über Montenuovo?
Er hat seine Ohren überall.
So etwas in der Art, dachte Gross. Und Montenuovo machte deutlich, dass seine Kritiker recht hatten.Was die Belange des Hofes anging, sah er alles und war allwissend.
»Ja, richtig. Advokat Werthen«, bestätigte Gross.
Montenuovos höfliche Miene veränderte sich nicht. »Und um welche Art von Untersuchung handelt es sich dabei?«, erkundigte er sich.
»Wir ermitteln im Auftrag Herrn Mahlers.«
Bei dieser Bemerkung kam etwas Leben in das unbewegte Gesicht des Prinzen.
»Unser hochverehrter Herr Direktor. Erzählen Sie mir nicht, dass Sie diese Serie von zufälligen Unfällen untersuchen, die sich jüngst in der Hofoper ereignet hat.«
»Es waren weder Zufälle noch Unfälle, jedenfalls meiner Ansicht nach, Euer Gnaden.«
»Sie glauben also, dass Mahler wirklich in Gefahr schwebt?« Montenuovo bemühte sich, seine gleichmütige Miene beizubehalten.
Gross setzte den Prinzen über die neuesten Ergebnisse der Untersuchung in Kenntnis. Er erwähnte alle Vorfälle, die sie einer genauen Untersuchung unterzogen hatten, und deutete auch an, wie gering ihre Fortschritte bisher leider waren, seit Mahler sie mit den Ermittlungen beauftragt hatte. Auch der Mord an Friedrich Gunther sowie die Tatsache, dass dieser vermutlich ein Augenzeuge der Ermordung Fräulein Kaspars gewesen war, blieben nicht unerwähnt.
Die Autopsie von Herrn Gunther, dem früheren Mitglied des Hofopernorchesters, hatte keine neuen Erkenntnisse gebracht. Kommissar Drechsler hatte Gross bestätigt, was sie bereits am Tatort vermutet hatten: Der Kehlkopf des Mannes war durch Menschenhand zerquetscht worden. Es war inzwischenunbestritten, dass Gunther von einem unbekannten Angreifer erwürgt und dann aufgehängt worden war, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Der voraussichtliche Todeszeitpunkt lag zehn Stunden vor der Entdeckung der Leiche und damit war klar, dass man Gunther nicht lange nach seiner Heimkehr von der letzten Vorstellung der Saison getötet hatte. Kommissar Drechsler und seine Beamten hatten die Mitbewohner des Hauses und die Nachbarn befragt, ohne über das Kommen und Gehen im Hause etwas Ungewöhnliches erfahren zu haben. Bis jetzt steckten die polizeilichen Ermittlungen in einer Sackgasse fest.
Aber es war Gross zumindest gelungen, Drechslers Aufmerksamkeit auf den Tod Fräulein Kaspars zu lenken, so dass der Fall zum ersten Mal einer genauen polizeilichen Untersuchung unterzogen wurde. Das allein bedeutete eine enorme Hilfe, da die Polizei einen deutlich besseren Zugang zum Personal der Oper hatte, als Werthen oder er selbst sich je hätten erhoffen können. Gross hatte den Kommissar noch immer nicht restlos davon überzeugen können, dass Mahler in Gefahr schwebte, aber zumindest war es ihm gelungen, ersten Argwohn zu säen.
Gross entnahm der Innentasche seines Mantels ein großes gefaltetes Blatt. Es handelte sich um den Entwurf einer Tabelle mit Namen von Personen und Spalten für Motive, Mittel und Gelegenheiten. Einen weiteren Ausgangspunkt bildete die Anwesenheit der Personen am Ort der jeweiligen Vorfälle, hinter denen sie Anschläge auf Mahlers Leben vermuteten. Mit Hilfe der Informationen von Drechsler hatte Gross vorläufig Blauer, den Inspizienten, von der Liste gestrichen, da dieser am Tag der Probe, die mit Fräulein Kaspars Tod endete, nicht anwesend gewesen war.
Montenuovo folgte den Ausführungen sehr genau, betrachtete die Tabelle und schüttelte den Kopf.
»Eine sehr detaillierte Darstellung einer äußerst
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