Wiener Schweigen
aber einer sehr gründlich.«
»Und hat große Angst, erwischt zu werden. Er vernichtet die Unterlagen im Pfarramt …« Schurrauer schluckte.
»… indem er es in die Luft jagt«, vollendete Rosa den Satz. »Das Haus der alten Zehetmair ist auch abgebrannt. Ein bisschen viel Feuer für die paar Wochen.«
»So«, Liebhart schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, »jetzt leiten wir eine offizielle Untersuchung ein. Die Überreste des Pfarramts und des Zehetmair-Hauses sollen in Hinblick auf Brandstiftung von einem Team der Abteilung für Brand- und Explosionsursachenermittlung aus Wien untersucht werden. Schurrauer, du fährst mit den Leuten ins Kahlenbergerdorf, sie sollen auf jeden Fall heute noch mit der Untersuchung beginnen. Ich brauche ein paar Ergebnisse für das morgige Gespräch mit dem Minister.«
Rosa war froh, Wien hinter sich zu lassen. Als sie auf der Autobahn war, kurbelte sie das Fenster hinunter und genoss Sonne und Fahrtwind auf ihrer Haut.
Gerade als sie sich halbwegs entspannt hatte, fielen ihr die dunklen Knochen auf dem Tisch des Naturhistorischen Museums ein. Sofort stieg wieder Brechreiz in ihr hoch. Um einen klaren Kopf zu bekommen, entschied sie, noch schnell in den Sellnersee zu springen, bevor sie nach Hause fuhr.
Sie parkte den Wagen an der üblichen Stelle und zog sich um. Das Wasser war klar und kühl, und sie spürte ihr Herz gegen den Brustkorb schlagen, als sie sich nach dem Schwimmen tropfnass auf die warmen Bretter des Stegs fallen ließ.
Als sie die Haustür aufsperrte, war die Übelkeit verschwunden, und Rosa bemerkte, dass sie Hunger hatte.
Aber nur auf Salat mit einem leichten Dressing, dachte sie schnell, da sie Angst hatte, dass ihr beim Gedanken an Fleisch wieder schlecht werden könnte.
Sie überlegte, ob sie einen Kuchen backen sollte, das hatte für sie immer etwas Tröstendes. Kummer und Sorgen ließen sich durch das Bearbeiten des Teiges wegkneten.
»Und abgesehen davon muss ich etwas Gescheites essen. Ich brauch die Kraft, wird wahrscheinlich eine arbeitsame Nacht«, bestärkte sie sich selbst.
Obwohl es im Brunner Klima mit seinen bitterkalten Wintern und heißen Sommern schwer war, hatte Rosa ein kleines Zitronenbäumchen gezogen. Sie goss es nur mit Regenwasser und stellte es beim ersten Frost in den Keller. Ein Zitronenbaum blüht und trägt gleichzeitig Früchte, so konnte sie sich auf der Terrasse nicht nur über den Blütenduft freuen, sondern auch über die Früchte, die sie jetzt für ihren Kuchen verwenden wollte.
Als die Sonne unterging, saß Rosa unter der Blutbuche auf der Holzbank und nippte an einem heißen Espresso in einer dickwandigen kleinen Tasse. Sie hatte sich eine große Schüssel mit Salat gemacht und dazu einen würzigen Schafskäse und etwas dunkles Bauernbrot gegessen. Genussvoll biss sie in eine Feige, der dunkelrote Saft tropfte von ihren Fingern. Der Zitronenkuchen stand im Rohr und begann bereits zu duften, ein Zeichen, dass er bald fertig war. Das Teigkneten hatte sie leider nicht so wie erwartet abgelenkt, und so stürzten die Ereignisse der letzten Tage erneut auf sie ein.
Ihre Gedanken drehten sich unermüdlich um die Fragen: Was hatte Paul mit der rätselhaften Abkürzung »Gen. 16,1; Infer.« sagen wollen? Wieso war er an seinem Todestag, dem 11. Oktober, in der Bakk Pharm AG gewesen, obwohl er zu Hause arbeiten wollte? Er musste danach gleich zum Komatsee gefahren sein. Rosa konnte sich die Wege, die Paul an diesem Tag zurückgelegt hatte, nicht erklären. Wieso war er nicht nach Hause gefahren und hatte ihr dort eine eindeutigere Nachricht hinterlassen?
Agnieszka Zieliñska, die nun in ihrem Flugzeug nach Hause sitzen dürfte, kam ihr in den Sinn; im Laderaum den Sarg, in dem die sterblichen Überreste ihres Mannes lagen. Für die junge Frau hatte wohl auch die Welt aufgehört, sich zu drehen, als ihr Mann gestorben war.
»Wie für mich, als ich Paul verloren habe.«
Rosa spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten. Mit einem Mal fühlte sie sich unglaublich einsam. Sie konnte sich noch sehr gut an die Zeit nach Pauls Tod erinnern, monatelang hatte sie nichts empfunden.
Daniel Mühlböck hatte sich nicht wie versprochen gemeldet, und sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie auf seinen Anruf wartete. Kurz überlegte sie, sich bei ihm zu melden.
»Den Teufel werd ich tun!« Sie ließ den letzten Rest Espresso in der Tasse kreisen, die außen ganz klebrig vom Feigensaft war.
Als sie aufstand, sah
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