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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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weiterhelfen.«
    Liebhart fuhr sich durch das verschwitzte Haar. »Es wird die Hölle los sein, sobald die Presse von dem Kannibalismus Wind bekommt. Je abartiger Verbrechen sind, desto größer ist das öffentliche Interesse, und je größer das öffentliche Interesse, desto größer ist der Druck des Justizministeriums.«
    Sein Telefon läutete.
    »Die Witwe von Zieliński ist da, wir müssen gehen.«
    Agnieszka Zieliñska wartete im Besprechungszimmer der Kriminalpolizei. Sie war eine zierliche Frau, der ihre dünnen blonden Haarsträhnen ins Gesicht fielen. Blass, in einem viel zu warmen Pullover, hatte sie sich in einen Sessel gekauert. Sie schlug das Angebot, etwas zu trinken, aus und streckte zur Begrüßung Rosa und Liebhart ihre schmale, kraftlose Hand entgegen. Rosa wunderte sich, dass die Hand kühl war.
    Ein polnischer Übersetzer war zu dem Gespräch hinzugebeten worden. Er stellte sich Liebhart und Rosa als Michałl Dzierwa vor.
    »Wir möchten Ihnen zuallererst unser Beileid aussprechen«, begann Liebhart, und Michałl Dzierwa übersetzte.
    Agnieszka Zieliñska nickte und fragte mit dünner Stimme, ob man schon wisse, wer ihrem Mann das angetan hatte. Liebhart verneinte niedergeschlagen und versicherte, dass er alles in seiner Macht Stehende tun werde, um den Schuldigen so schnell wie möglich zu finden.
    »Können Sie mir erklären, warum Ihr Mann Polen verlassen hat?«
    Agnieszka Zieliñska erzählte, dass Andrzej und sie bei Zamość, einer Stadt im südöstlichen Teil Polens, gewohnt hatten. Sie hatten mit der Großmutter ihres Mannes, Zofia Zieliñska, etwas außerhalb der Stadt auf deren Hof gelebt. Zofia war schon achtundneunzig Jahre alt. Andrzej hatte Polen wegen einer Geschichte verlassen, die seine Großmutter ihm von klein auf erzählt hatte.
    Liebhart schenkte Wasser in vier Gläser, die am Tisch standen, und bedeutete Agnieszka Zieliñska weiterzusprechen.
    Als Andrzejs Großmutter vier Jahre alt gewesen war, waren Soldaten in den Hof, auf dem ihre Familie und sie gelebt hatten, eingefallen. Die alte Frau konnte sich nur noch undeutlich an die Nacht erinnern, aber die Soldaten hatten gestohlen, was sie zu fassen gekriegt hatten. Ihre Mutter hatte ihre beiden Brüder und sie in den Stall gezogen und Heu über sie geworfen, dann war sie auf den Hof gelaufen, um die Fremden von ihren Kindern abzulenken.
    Sie hatten ihren Vater und ihre Mutter erschossen; Zofia hatte ihre Eltern nie wiedergesehen. Sie konnte sich noch erinnern, dass es ein sehr heißer Sommer gewesen war und ihre Brüder und sie fast keine Luft unter dem Stroh bekommen hatten. Vor lauter Angst hatten sie sich lange nicht wieder herausgewagt, sondern die ganze Nacht und den ganzen nächsten Tag gewartet. In der Dämmerung waren sie dann aus dem Heu hervorgekrochen. Der Hof war geplündert worden, und auf den Feldern hatten die Soldaten bei Lagerfeuern ihren Raubzug gefeiert. Sie waren betrunken gewesen und hatten die Vorratskeller der umliegenden Höfe leer gefressen. Drei Tage hatten die Plünderungen gedauert, dann waren die Fremden endlich weitergezogen. Zofia hatte den Tod ihrer Eltern und den Diebstahl der Ikone nie verwinden können.
    Agnieszka Zieliñska griff zögernd zu dem Glas Wasser und trank ein paar Schluck. Rosa konnte sehen, dass ihre Hände zitterten. Die Geschichte rund um die gestohlene Ikone schien ihr zuzusetzen.
    Danach atmete sie tief ein und fuhr fort, dass sie in einem Supermarkt in Zamość arbeite. Andrzej habe bis vor einem halben Jahr in einem Stahlwerk nahe dem Ort eine Anstellung gehabt. Als es geschlossen worden war, hatte er keine neue Arbeit mehr gefunden. Das Geld sei knapp geworden, und deswegen habe er entschieden, die Ikone zu suchen.
    Liebhart fragte, ob sie mit ihrem Mann während seiner Reise in Kontakt gestanden habe. Sie antwortete, dass sie ab und zu telefoniert hätten. Andrzej hatte nicht viel Geld bei sich gehabt, er hatte an allen Ecken und Enden sparen müssen, und so wurden die Telefonate immer seltener.
    »Hat Ihr Mann einmal einen gewissen Friedrich Kobald erwähnt?« Liebhart forderte Michałl Dzierwa mit einem Kopfnicken auf zu übersetzen.
    Der Dolmetscher gab die Frage auf Polnisch weiter.
    Nein, dieser Name sagte ihr nichts. Andrzej hatte ihr während der kurzen Telefonate versichert, ihr mehr von seiner Reise zu erzählen, sobald er wieder zu Hause wäre.
    Die junge Frau wollte wissen, wer Friedrich Kobald denn sei. Als Liebhart ihr von den Fingerabdrücken ihres Mannes

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