Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
Vom Netzwerk:
sie über die Hügel, hinter denen die Sonne blutrot unterging. Auf der Wiese vor ihrem Haus wippten die Blütenköpfe von Schafgarbe und Rittersporn im leichten Abendwind, Grillen zirpten. Doch trotz der Ruhe um sie herum war sie nervös. Mit der Entdeckung von Kannibalismus und eines anonymen Massengrabes war das Grauen in ihr friedliches Zuhause gekommen. Rosa schüttelte es, als sie an die dunklen Knochen dachte.
    Im Haus fuhr sie ihr Notebook hoch und sah in ihre Mailbox. Keiner ihrer Kollegen oder alten Freunde, bei denen sie nachgefragt hatte, ob ihnen vermehrt sakrale Kunstgegenstände aus dem Osten im Handel aufgefallen waren, hatte sich gemeldet.
    Sie telefonierte kurz mit Liebhart. Er hatte um acht Uhr früh einen Termin beim Justizminister. Schurrauer stand bis zu den Waden im Schutt des Pfarramtes vom Kahlenbergerdorf. Sie konnten erst morgen mit den Untersuchungen der Brandstätte des ehemaligen Hauses der Zehetmair beginnen, da es schon dunkel wurde. Liebhart verabredete sich dort mit ihr für elf Uhr vormittags. Rudolf Schinder, der Feuerwehrhauptmann, der geholfen hatte, den Brand zu löschen, sollte auch kommen.
    Zwanzig Minuten später saß sie über ihre Bücher gebeugt an ihrem großen Esstisch im Wohnzimmer. Rosa hörte um acht Uhr am Abend auf, Kaffee zu trinken, und ging zu leichtem Kräutertee über, da ihre Hände beim Schreiben schon zitterten. Gegen zehn hatte sie ein Drittel des Zitronenkuchens direkt aus dem Steingutgeschirr gegessen, das neben ihr auf einem Stapel Bücher stand. Die Katze lag auf ein paar Zeitungen, die Rosa auf dem Esstisch abgelegt hatte, und schnurrte.
    Als die Turmuhr im Ort elf schlug, lehnte Rosa sich zufrieden zurück. Da sie einen wichtigen Schritt weitergekommen war, verputzte sie zur Belohnung auch noch den restlichen Kuchen. Während sie langsam kaute, fiel ihr wieder Daniel Mühlböck ein, schnell stand sie auf und begann, Kaffeetassen mit eingetrockneten Überresten vom Tisch zu räumen. Dabei stieß sie einen Stapel Bücher um, und die Fotos der Ikone und des eigenartigen Abdruckes auf Andrzej Zielińskis Stirn segelten zu Boden. Als Rosa sie aufheben wollte, erstarrte sie.
    * * *
    Die Ritzbergerin streute Mehl auf die Holzplatte des Tisches und goss etwas Schafsmilch dazu. Sie knetete den Teig, bis er keine Blasen mehr warf, und salzte ihn zwischendurch. Ab und zu warf sie einen Blick aus dem Fenster vor ihr in den Hof, wo ihr Mann den Schädel unter einen kühlen Wasserstrahl hielt, den er mit einem Hebel aus dem Brunnen pumpte.
    Heut geht er wieder zu der Hur’, dachte sie und warf den Teig mit aller Wucht auf die Platte.
    »Parfümiert sich wie ein Gockel, der Bock, und dann fahrt er nach Wien und glaubt, ich bin so deppert, dass ich’s nicht merk.«
    Sie biss die Zähne zusammen. Sie wusste, dass sie vor ihrer Zeit gealtert war, so wie jede hier. Die Arbeit saugte einem die Jugend aus, und sie wusste auch, dass sie sich nicht beschweren durfte: Keiner hätte sie geheiratet mit dem Bastard im Bauch. Obwohl es schon über zehn Jahre her war, rannen ihr Tränen über die Wangen, als sie an den Abend dachte, als er sie gezwungen hatte, das Kind abtreiben zu lassen.
    Eigenartigerweise fiel ihr jetzt das Schwalbennest ein. Sie hatte damals ein kleines Zimmer unterhalb des Daches, dort hatten sich Schwalben im Frühling ein Nest auf einem Dachbalken gebaut. Am Morgen konnte sie den Flügelschlag der Schwalbeneltern hören, die eifrig Material für die Brutstätte gebracht hatten.
    Der Arzt, der ihr Kind abgetrieben hatte, war eigentlich Tierarzt und so besoffen, dass er im Stehen schwankte. An jenem Tag im Frühling rüttelte ein starker Wind an den Fensterflügeln und wehte kleine Baumzweige auf die Straße. Als sie nach der Abtreibung nach Hause kam, hatte eine Brise das Nest vom Dachbalken geweht, zwei kleine Eier lagen zerbrochen vor der Haustür. Die Ritzbergerin konnte seit dem Eingriff keine Kinder mehr bekommen.

13
    Rosa hatte nach ihrer Entdeckung nicht schlafen können und sich bis vier Uhr früh in ihrem Bett hin und her gewälzt. Dann hatte sie es aufgegeben, war aufgestanden und hatte mit einem Kaffee, in dem eine Zimtstange schwamm, in ihrem Garten den Sonnenaufgang beobachtet. Sobald das frühmorgendlich dunstige Gelb am Himmel erschien und seine goldenen Finger über der Weide unter dem Haus ausstreckte, begann das tägliche Vogelkonzert.
    Rosa hatte Liebhart gestern Abend nicht mehr erreicht. Deswegen saß sie jetzt mit ihrem

Weitere Kostenlose Bücher