Wiener Schweigen
auf der Mordwaffe berichtete, legte sie erschrocken die Hand auf den Mund. Dann redete sie aufgeregt auf den Übersetzer ein.
Michałl Dzierwa hörte ihr nickend zu, dann fragte er Liebhart, ob die Polizei glaube, dass Andrzej Friedrich Kobald erschlagen habe. Frau Zieliñska war sich sicher, dass dem nicht so gewesen sein könne.
Liebhart beruhigte sie und ließ sie wissen, dass ihr Mann vor dem Sammler gestorben war. Er schob ihr ein Foto des Brustkreuzes und der Monstranz hin und wollte wissen, ob sie die beiden Gegenstände schon einmal gesehen hatte. Sie studierte die Bilder sehr lange und schüttelte dann verneinend den Kopf.
Agnieszkas Vernehmung dauerte über eine Stunde. Rosa hörte auf diese eigenartige, kehlige Sprache. Da sie Polnisch nicht verstand, fiel es ihr schwer einzuschätzen, ob Agnieszka Zieliñska die Wahrheit sagte.
Liebhart wollte abschließend mehr über die Ikone wissen, ob sie wertvoll sei, woher die Familie der Großmutter sie hatte; doch Agnieszka schüttelte nur wieder den Kopf; alles, was sie darüber wisse, habe sie ihm bereits erzählt. Er zeigte ihr das durch eine Klarsichthülle geschützte Foto, das die Polizei im Rucksack ihres Mannes gefunden hatte. Agnieszka nahm es in die Hand und strich mit dem Daumen ein paarmal drüber, dicke Tränen traten ihr in die Augen.
Rosa ließ ihr Zeit, sich wieder etwas zu fangen, dann wollte sie wissen, ob sie ihr den Schatten in der rechten unteren Ecke, den Rosa für einen fliegenden Zopf hielt, erklären könne. Agnieszka lächelte. Das Bild sei schon sehr alt. Der Urgroßonkel ihres Mannes sei Fotograf gewesen, er habe das Foto gemacht. Die alte Frau im Bild war die Ururgroßmutter Andrzejs, der Schatten im Bild war der Zopf seiner Großmutter Zofia. Sie musste damals circa drei Jahre alt gewesen sein.
Bevor Agnieszka Zieliñska ging, bat Liebhart sie noch um eine DNA -Probe, um Spuren, die sie auf der Kleidung oder auf den persönlichen Gegenständen von Andrzej Zieliński entdeckt hatten, zuordnen zu können.
Rosa stand auf und streckte sich. »Gut, ich weiß jetzt, dass die Ikone schon lange im Besitz der Familie Zieliński war und dass sie vor vierundneunzig Jahren gestohlen worden ist. Ich versuche herauszufinden, wieso es Andrzej auf der Suche nach dem Marienbild ins Kahlenbergerdorf verschlagen hat«, meinte sie. Und werde das, was ich im Heurigen erfahren habe, mit ein paar Daten und Fakten untermauern, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Wahrscheinlich hat Zieliński mit Kobald Kontakt aufgenommen, da er sich von dem Sammler eine Auskunft über den Verbleib der Ikone erhofft hatte«, sagte Schurrauer.
»Habt ihr schon irgendjemanden in Kobalds Umfeld gefunden, der uns dabei helfen kann festzustellen, wer bei dem Sammler ein und aus gegangen ist? Was ist mit den orthodoxen Gemeinden in Wien?« Liebhart stand auf und ging durch den Raum.
»Ostkirchliche Traditionen sind in Wien mit siebzehn Kirchengemeinden vertreten.« Schurrauer hob resigniert die Schultern.
Liebhart blieb stehen. »So viele? Wer gehört denn dazu?«
Schurrauer zählte auf: »Griechen, Russen, Bulgaren, Rumänen und Serben. Soviel ich weiß, Kopten, Syrer, Äthiopier und Armenier. Dann noch die katholischen Ostkirchen der Melkiten, Chaldäer, Maroniten, armenischen Mechitaristen und Ukrainer.«
»Herrje«, seufzte Rosa, »die Befragungen dauern ja sicher ewig.«
Alle drei starrten vor sich hin, dann nahm Liebhart seine Wanderung erneut auf. »Ich werde um einen Termin beim Justizminister anfragen. Wenn die Presse Wind von den Skeletten kriegt, kann ich mir meine Haut selbst abziehen und sie ihm schicken«, wechselte er unvermittelt das Thema und drehte sich zu Rosa. »Du kümmerst dich um die Ikone und bleibst so am Fall Zieliński dran. Wir treffen uns morgen im Kahlenbergerdorf und reden mit den Familien, die er in seinem Tagebuch erwähnt hat. Was kann ich dem Justizminister über unser weiteres Vorgehen im Fall des Massengrabes sagen? Irgendwelche Vorschläge?«
Liebhart sah Rosa und Schurrauer auffordernd an.
Schurrauer räusperte sich. »Wenn wir davon ausgehen, dass die fünfunddreißig unbekannten Personen aus dem Kahlenbergerdorf stammen, müssten wir doch irgendetwas in den Geburtsregistern finden. Selbst wenn sie vor rund neunzig Jahren gelebt haben.«
»Sicher«, meinte Rosa gedankenverloren, »wir können einfach ins Pfarramt von …«
Es wurde still im Raum.
»Teufel auch.« Liebhart rieb sich die Stirn, während er sprach. »Da ist
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