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Wienerherz - Kriminalroman

Wienerherz - Kriminalroman

Titel: Wienerherz - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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überhaupt jemals wirklich geliebt hatte. Beim Anblick seines Vaters musste er an die Eltern Florian Dorins denken. Sie waren in einem ähnlichen Alter, vielleicht ein paar Jahre jünger. Wie sie die Nachricht vom Tod ihres Sohnes verarbeiteten? Waren sie wütend darüber, dass er sich das Leben genommen hatte? Machten sie sich Vorwürfe? Wie würden sie reagieren, wenn Freund Fragen stellen wollte?
    Freund hatte überhaupt keine Freude an der Geschichte. Am liebsten hätte er sie abgeschlossen. Wäre da nicht diese Laus gewesen.
    Während des Abendessens konnte Freund für eine Weile abschalten. Seit September besuchte seine Tochter Clara die erste Klasse des Gymnasiums, hatte bereits viele neue Freundinnen und erzählte von ihrem Tag, ohne Luft zu holen. Ihr Bruder Bernd, bereits in der dritten, würzte die Schilderungen mit den bissigen Kommentaren des Erfahrenen, Älteren. Der übliche Geschwisterstreit eskalierte zum Glück erst, als sie den Tisch bereits abdeckten.
    »Zeigt mir eure Hausaufgaben, damit ich sie kontrollieren kann«, forderte Freund, um den Zwistigkeiten ein Ende zu setzen.
    »Das hast du jetzt davon«, meckerte Clara ihren Bruder im Davongehen an, der zurückstänkerte.
    »Waren wir auch so als Kinder?«, stöhnte er, als sie in ihren Zimmern verschwunden waren.
    »Ich nicht«, erklärte Claudia, während sie die Geschirrspülmaschine einräumten. »Und du hattest keine Geschwister zum Streiten.«
    Freund half ihr und wischte den Esstisch ab, damit die Schulhefte keine Flecken bekamen.
    Sie hatten lange überlegt, wohin sie die Kinder schicken sollten. Die Schulfrage hatte sich in den letzten Jahren zu einem zentralen Projekt Wiener Mittelschichtfamilien entwickelt. Ihre Hoffnung auf Zukunft hieß Bildung, je mehr davon, desto besser. Hauptschulen galten von vornherein als indiskutabel, zu viele Schüler dort, Aus- wie Inländer, beherrschten weder ordentliches Deutsch noch grundlegende Umgangsformen. In den Gymnasien wiederum wurden nur die besten Volksschüler aufgenommen. Dafür hieß es schon in der Grundschule büffeln, wie Freund es nicht einmal aus seiner Gymnasialzeit gekannt hatte. Wenn Lernen für das Einserzeugnis nicht genügte, griffen nicht wenige Eltern zu rabiateren Methoden, Freund selbst hatte bereits rüde Beschimpfungen, Drohungen, Einschüchterungen, Bestechungsversuche und körperliche Angriffe auf Lehrerinnen erlebt. Viele Kinder von Bekannten besuchten private und alternative Institutionen. Freund und seine Frau hatten sich sechs Einrichtungen angesehen, bevor sie und Bernd sich für das öffentliche Gymnasium ganz in der Nähe ihrer Wohnung entschlossen. Nun ging auch Clara zur selben Schule wie ihr Bruder.
    Die zwei keppelten noch immer, als sie wiederkamen.
    Claras Arbeiten waren wie üblich schnell und unleserlich aufs Papier geworfen, aber fast fehlerfrei, sowohl Mathematik als auch Deutsch, Englisch und Physik. Freund versuchte sich zu erinnern, ob er jemals Hausaufgaben in Physik bekommen hatte. Mit Bernd musste er zwei Mathebeispiele noch einmal rechnen, was sein Älterer nur widerwillig akzeptierte. Auch die Prüfung der Englischvokabeln entlockte Freund keine Lobeshymnen.
    »Computer erst, wenn du sie kannst«, erklärte Freund. »Komm in einer halben Stunde noch einmal.«
    Freund hatte sich auf einen Wutausbruch gefasst gemacht, doch Bernd zog mit einem Murren ab.
    Freund spürte die Müdigkeit nach der Bereitschaftsnacht.
    »Anstrengender Tag?« Claudia schenkte ihm eine Tasse Tee ein.
    Freund erzählte von dem Toten.
    »Florian Dorin?«, fragte Claudia mit großen Augen.
    »Kennst du ihn?«
    »Nicht persönlich. Aber er ist mir natürlich ein Begriff. Als Wirtschaftsanwalt in Österreich kennt man den Namen Dorin.«
    In Freund keimte eine leise Hoffnung.
    »Hast du je für ihn oder seine Familie gearbeitet?«
    In diesem Fall könnte er die Sache wegen möglicher Befangenheit abgeben. Ein erfreulicher Gedanke, erwartete er doch nur langwieriges Herumstochern in fremder Menschen Privatangelegenheiten, das am Ende zu nichts führen würde.
    »Nein. Darf ich fragen, wie er …?«
    »Mit einem Jagdgewehr.«
    »Man denkt ja immer, reiche Leute hätten so etwas nicht nötig«, sagte sie.
    »Das waren auch meine ersten Gedanken«, antwortete er. Er schilderte die Beobachtungen der Gerichtsmedizinerin.
    Claudia sah ihn lange an, bevor sie sagte: »Ich kenne dich. Das nagt an dir. Willst du einen Fall daraus machen? Habt ihr andere Anhaltspunkte?«
    »Bislang nicht.

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