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Wieviele Farben hat die Sehnsucht

Wieviele Farben hat die Sehnsucht

Titel: Wieviele Farben hat die Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Körner
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mich und meinen Verstand wieder beisammen hatte. Die Frau war verschwunden und ich habe sie bis heute niemals wieder gesehen.“ Auf einmal schien er dem Weinen nahe. „Weißt du, mein Junge, ich habe sie immer gesucht. Hier unter diesem Baum, in jedem Regenbogen und in jeder Frau. Aber ich habe sie nie gefunden. Keine Frau war so wie sie, keine hat mir so zugehört, mir solche Sätze gesagt, mich in solche Leidenschaft versetzt. Und glaub’ mir, ich habe viele Frauen gekannt. Auch deine Mutter, die ich wirklich sehr gern habe, auch sie ist nicht so wie diese Frau.“ Seine Stimme wurde leiser. „Die Frau aus dem Regenbogen ..lachte er vor sich hin, „ich weiß nicht einmal ihren Namen. Und nie habe ich so richtig begriffen, was sie mir sagen wollte. Vielleicht habe ich deshalb mein ganzes Leben lang im Grund nur nach ihr gesucht.“
    Sein Sohn blickte ihn voller Wärme an. „Ich weiß nicht, Vater“, sagte er. „Vielleicht?“ Er dachte nach, rang nach Worten und fuhr schließlich fort: „Ich glaube, sie hat dir etwas Großes geschenkt: Liebe aus Leib und Seele.“ Er atmete tief die kühler werdende Nachtluft ein. „Ja, und du hast dieses Geschenk nicht weitergegeben, sondern dein Leben lang immer mehr davon gesucht, überall und jederzeit hast du noch mehr von dieser Liebe gesucht.“
    Er erhob sich und streckte sich ausgiebig. „Wie wohl jeder Mensch“, sagte er dann weiter, „wir suchen alle nach Liebe, in jeder Frau und in jedem Mann, auch ich. Und dabei vergessen wir das Wichtigste.“
    Der Vater blickte zu seinem Sohn auf, Tränen in den Augen, fassungslos, und murmelte: „Du hast sie verstanden.“ Und noch einmal: „Ja, du hast sie verstanden.“ Und dann sagte er, noch immer unter dem Baum sitzend und zu seinem Sohn aufblickend: „Ich glaube, jetzt fange auch ich an zu verstehen. Komm, mein Junge, hilf deinem Vater nun auch noch beim Aufstehen.“
    Der junge Mann half seinem Vater, und schweigend machten sich die beiden auf den Heimweg in dieser kühler werdenden Sommernacht. Auf einmal raschelten in dem Baum die Blätter, und der Mond schien durch die Äste genau dorthin, wo die beiden Männer gesessen waren.
    Weder Vater noch Sohn sprachen noch einmal über die Frau aus dem Regenbogen — aber etwas war zwischen ihnen geschehen, was unauslöschlich war. Beide hatten sich verändert. Auch die Frau des alten Mannes spürte das. Doch sie erfuhr niemals von dem Erlebnis ihres Mannes und von dem Gespräch zwischen Vater und Sohn.
    Als der Sommer zur Neige ging, machte der Alte, wie so oft, einen Spaziergang am Nachmittag. Es war warm und roch nach Herbst, und etwas Eigenartiges lag in der Luft. Später regnete es kurz und heftig, und danach verzauberte ein unglaublich schöner Regenbogen den Himmel. Der junge Mann zeigte ihn seiner Mutter und dachte insgeheim an seinen Vater. Still lächelte er vor sich hin und verstand auf einmal noch mehr von der Suche seines Vaters. Wieviele Farben, so fragte er sich in diesem seltsamen Augenblick, wieviele Farben mag wohl die Sehnsucht haben?
    Mitten in der Nacht wurde er von seiner Mutter geweckt. Voller Sorge bat sie ihn, nach dem Vater zu suchen, weil er von seinem Spaziergang nicht heimgekehrt war. Sofort machte er sich auf den Weg.
    Aus irgendeinem Grunde wußte er, wo er seinen Vater finden würde. Und da war er dann auch. Still und friedlich lag er unter seinem Baum, ein glückliches Lächeln im Gesicht.
    Der Sohn begriff sofort. Er nahm den alten Mann in die Arme und drückte ihn liebevoll an sich. Und während er bitterlich weinend mit seinem toten Vater in den Armen unter diesem Baum saß, rauschte es wieder in den Blättern, und der Mond warf ein mildes Licht auf die beiden.
    Da huschte ein Lächeln über das tränenüberströmte Gesicht des jungen Mannes, und er flüsterte seinem Vater ins Ohr: „Du weißt es nun, nicht wahr? Sie hat es dir gesagt.“
    Er drückte ihn ein letztes Mal an sich und war sicher, daß sein Vater die Frau aus dem Regenbogen noch einmal gesehen hatte.
     

Roland Kübler
    Das Geschenk des Herrschers

     
    W enn der Wind der Wüste nachts um die Zelte der Beduinen streicht und in den verglimmenden Feuern noch manchen Funken zu neuem Leben erweckt, erzählt er manchmal diese Geschichte:
    Zu einer Zeit, die schon so lange vergangen ist, daß nicht einmal ich mich mehr daran erinnern kann, lebte hier am Rande der Wüste ein reicher und mächtiger Herrscher. Er besaß alles, was man sich nur vorstellen kann, und vor allem

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