Wieweitdugehst - Wieweitdugehst
Ich bin auch nicht mehr die Jüngste, und mit all der Verantwortung in einer Apotheke … Die jungen Dinger, die sich heutzutage bewerben, wirft jeder Windhauch um. Kein Winter vergeht, ohne dass sie sämtliche Infekte auflesen, die uns ins Haus getragen werden. Da muss nur mal ein Kunde unleidlich sein, schon brechen die Mädchen in Tränen aus.«
»Stellen Sie nur Frauen ein?«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Es hörte sich so an.«
»Ach!« Monika Erlau machte eine ungeduldige Handbewegung. »Männer sind solche Memmen! Wirklich, mit Liliana, das war ein ganz anderes Arbeiten. Sie macht alles ruhig, besonnen, hat jeden Handgriff viele Male eingeübt. Sogar mit dem Computerkram ist sie auf Du und Du. Nimmt inzwischen an einem Computerkurs an der Volkshochschule teil.«
»Finanziell …«, setzte Marek an, während er ›Computerkurs‹ auf seinen Block schrieb.
Monika Erlau fuhr ihren rechten Zeigefinger aus und tippte auf Mareks Unterarm. »Nein, Herr Kommissar, finanziell hat sie das nicht nötig. Ihr Mann hat zwar die Hälfte seines Vermögens, auch die Hälfte vom Haus seinem Sohn hinterlassen. Dem Bastard.«
Marek schluckte.
»Aber Liliana hat ihr Leben lang selbst Geld verdient.«
»Der uneheliche Sohn …«
»Genau, der erbt die Hälfte. Wie das eben so ist. Liliana regelt alles über einen Anwalt.«
»Was gibt es da zu regeln?«
»Sie hat angedeutet, dass sie das Haus verkaufen will. Es ist ohnehin zu groß für sie. Mit dem Garten hat sie auch eine Heidenarbeit. Nein, es ist sicher besser, sich davon zu trennen. Obwohl Erinnerungen dranhängen.«
»Wozu braucht sie einen Anwalt? Will sie das Testament anfechten?«
»Na, so streitsüchtig ist Liliana nicht«, versetzte die Apothekerin und kramte in den Taschen ihres Kittels herum. »Sie hat nur keine Kraft für all die juristischen Dinge, die ins Haus stehen. Möchten Sie einen Eukalyptusbonbon?«
Marek kam sich vor wie früher als Kind, wenn er mit seiner Mutter zum Einkaufen gegangen war. In der Metzgerei hatten die Verkäuferinnen gefragt: ›Mag der Kleine ein Stück Wurst?‹
Marek schüttelte den Kopf.
»Sie hat einen Schätzer bestellt«, fuhr Monika Erlau fort. »Der wird das Haus, das Grundstück und so weiter schätzen, dann kann sie verkaufen und den Jungen auszahlen. Der Anwalt soll das für sie regeln. Nein, sie hat nicht die Absicht zu streiten.«
»Das muss schwer für sie sein. Der Sohn ihres Mannes erinnert sie doch ständig daran, dass er sie betrogen hat.«
»Es ist schwer«, betonte Monika Erlau. »Aber Liliana kann akzeptieren, dass ihr Mann dieses Kind liebte. Von Herzen liebte. Wenn ihr Johannes nicht gestorben wäre – vielleicht hätte sie dann über ihren Schatten springen und das Kind akzeptieren können. Aber ihr Sohn ist tot und Berts Sohn lebt. Dieser Zwiespalt hat sie beinahe umgebracht.«
»Kennen Sie Neta Kasimir?«
»Vom Hörensagen. Sie greift Liliana ab und zu unter die Arme, nicht wahr?«
»Vielleicht möchte die hilfsbereite Dame an Frau Bachmanns Vermögen herankommen.« Marek dachte an das Einfamilienhaus in einem Stadtteil, wie er ihn vor seinem 12. Geburtstag nie betreten hatte.
»Schwer vorstellbar. Liliana lässt sich nicht ausbeuten«, wehrte Monika Erlau ab.
Marek Weiß stand auf. »Danke. Vielleicht hören Sie noch mal von mir.«
»Warten Sie. Mögen Sie Rachendrachen? Bald kommt die Erkältungszeit.« Monika Erlau sprang auf und angelte eine Tüte von der Theke. »Die werden immer gern genommen.«
Verdutzt streckte Marek die Hand aus. Es war ein Reflex. Er konnte nichts dagegen tun.
32
Kommissaranwärterin Ute Timmer liebte alle Aufgaben, die sie aus dem Büro ins wirkliche Leben führten. Papiere von einer Seite des Schreibtisches zur anderen zu schaufeln, war nicht ihre Sache.
Sie stand vor dem Haus, in dem Neta Kasimir wohnte. Türkenfeld am Freitagabend. Nichts los. Sie fragte ein paar Nachbarn. Keiner wollte etwas gesehen haben. Einige behaupteten, Neta gar nicht zu kennen. Das machte Ute stutzig. Als sei Neta so unscheinbar, dass man sie nicht wahrnahm. Durchsichtig beinahe, überlegte Ute. Endlich konnte ihr jemand zeigen, wo Neta üblicherweise ihren Twingo parkte. Obwohl die Seitenstraße abseits lag, fuhren in kurzen Abständen Autos durch. Ute hielt jeden Spaziergänger auf. Kommen Sie hier regelmäßig entlang? Ist Ihnen etwas aufgefallen? Trieb sich einmal jemand herum, den Sie noch nie gesehen haben? Kennen Sie Neta Kasimir? Bekommt sie oft Besuch? Von welchen Leuten?
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