Wieweitdugehst - Wieweitdugehst
konnte. Besser spät als nie.
Freising mochte er nicht. Den Domberg nicht, das ganze kleinstädtische Gehabe. Nur die Nähe zum Flughafen schien ihm günstig. Um einfach so abzuheben. Wenn man gerade Lust dazu hatte. Marek besaß immer so viel Geld auf seinem Girokonto, dass er sich zur Not einen spontanen Flug nach Australien leisten konnte. Zwar unternahm er nie etwas, fuhr nie in die Ferien, gönnte sich nichts außer ab und zu einer Pizza beim Edelitaliener in Schwabing. Aber er hielt sich die Möglichkeit offen. Er sammelte Urlaub an. Um im Winter – vielleicht – länger verreisen zu können. Und dann wegzubleiben. Mit 22 hatte er es in Griechenland versucht. Marek fand sich heute noch mutig. Vielleicht auch blauäugig. In Griechenland neu anfangen, ohne eine Ausbildung, nur mit dem Traum im Kopf, ein Café zu eröffnen. Natürlich war er baden gegangen, schneller und dramatischer, als er jemals geahnt hätte. Hohn und Spott hatten nicht lange auf sich warten lassen.
Er parkte und betrat die Apotheke, in der Liliana Bachmann gearbeitet hatte.
»Bitte schön?«, lächelte die Apothekerin ihn an. Sie hatte ein kerniges Gesicht voller Fältchen, mit tief liegenden blauen Augen. Eine ältere Ausgabe von Sandra. Genauso mütterlich, genauso dem Ehrgeiz verfallen, Gefühlsregungen so weit als möglich zu unterdrücken, um nicht aufzufallen in der männlich dominierten Gesellschaft.
»Grüß Gott. Marek Weiß vom Landeskriminalamt.«
Die Frau wurde blass, fast so weiß wie ihr Apothekerkittel.
»Keine Angst, ich wollte nur ein paar begleitende Informationen haben. Es geht um Liliana Bachmann.«
»Meine Güte, Liliana!«
»Sie hat doch hier gearbeitet?«
»Sie wird auch wieder anfangen. Stundenweise. Das arme Mädel braucht etwas zu tun! Sie kann nicht tagein, tagaus in ihrem Haus sitzen und warten, dass die Zeit vergeht.«
»Sie sind Freundinnen, oder?«
»Gute Kolleginnen. Freundinnen eher nicht.«
»Na gut, Frau …«
»Erlau. Monika Erlau.«
»Frau Erlau, ist Liliana Bachmann nicht schon zu alt für einen Job in der Apotheke?«
»Junger Mann!« Sie lachte auf, als wüsste sie nicht, ob sie Mareks Einlassung mit Humor oder Empörung quittieren sollte. »Vergreifen Sie sich mal nicht im Ton. Sie ist eine hervorragende Apothekerin, kann wunderbar beraten, die Kunden mögen sie. Sie ist 66, nennen Sie das zu alt? Wissen Sie, wie alt die Leute heutzutage werden?«
»Erzählen Sie mir von Frau Bachmann.«
Monika Erlau wies auf eine Sitzgruppe neben einem Aquarium, in dem ein paar Goldfische patrouillierten. »Setzen wir uns. Heute ist ohnehin wenig los. Das Wetter ist zu schön, da geht das Geschäft in einer Apotheke schlecht.«
Marek ließ sich in einen Ledersessel sinken.
»Liliana ist zuverlässig. Hat bei mir seit mehr als 20 Jahren gearbeitet. Als ihr Sohn zur Welt kam, blieb sie einige Jahre zu Hause, aber sobald er in die erste Klasse ging, kam sie wieder. Johannes wäre nun 26.« Monika Erlau blinzelte. »Als er starb, hörte sie auf zu arbeiten. Sie kam nur noch zur Pilzsprechstunde, im Herbst. Pilze sind ihr Steckenpferd. Jetzt hätte sie alle Hände voll zu tun, sobald die Schleckermäuler bei mir hereinschneien und ihre Schwammerl zeigen. Montags geht es rund, das kann ich Ihnen flüstern. Pilzberatung bei Liliana ist eine Institution.«
»Sie sind also sicher, dass Liliana hier wieder arbeiten wird?«
»Aber natürlich. Seien Sie nicht so kleinlich, Herr Weiß. Sie wird nicht Vollzeit arbeiten und einer jungen Apothekerin den Job wegnehmen. Aber ein paar Stunden in der Woche sollten drin sein!«
Marek musste grinsen. Er fand es albern, wie eifrig die Frau ihre Meinung verteidigte.
»Liliana braucht etwas Sinnvolles zu tun, heute mehr als früher, als ihr Mann noch lebte. Sie muss sich ablenken, unter die Leute gehen, sehen, dass sie noch etwas schafft. Sie braucht eine Struktur für den Tag, sonst wird sie ganz verrückt. Mit all diesen grässlichen Dingen, die in ihrem Leben geschehen sind, all den Verlusten! Wer soll so etwas aushalten? Dazu benötigt man innere Kraft und einen starken Glauben.«
Marek kritzelte auf seinem Notizblock herum. Alle nahmen diese Liliana Bachmann in Schutz, hielten sie für ein Opfer, bewunderten sie für ihre Tapferkeit. Unterstellten Gutherzigkeit und Freundlichkeit. Das machte ihn stutzig.
»Ich hoffe wirklich sehr, dass sie wieder hier arbeiten wird«, betonte die Apothekerin. »Mit Liliana in der Nähe fühlt man sich sicher. Gut aufgehoben.
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