Wigges Tauschrausch
zwei Wochen der geplanten 200 Tage vergangen sind und ich bereitszehn Mal getauscht habe: Für den Apfel bekam ich Zigaretten, für die Zigaretten ein Buch über das Saarland, dafür wieder ein silbernes Kitsch-Häschen, dann einen Verbandskasten mit Schere, eine Sherry-Flasche im liebevoll gestalteten Holzkasten, fünfzig Smoothies, die ständig herunterfielen, eine Endlagerungstonne von einer Anti-Atomkraft-Demo, und natürlich Hermann, für den ich einen Kickertisch erhielt, und eine blaue Handwaschmaschine obendrauf, die mir schließlich einen Schlitten, ein Taschenmesser, einen Bildband über Ufos und als Krönung den von Außerirdischen beschossenen Stein einbrachte. Zehn Tauschaktionen in knapp zwei Wochen sind beachtlich, aber ein Haus auf Hawaii ist das alles noch längst nicht.
Jetzt, wo ich innehalte, merke ich auch, wie sehr mich die Tauschaktionen geschlaucht haben. Der Tauschrausch hatte so sehr von mir Besitz ergriffen, dass ich kaum geschlafen habe. Wenn ich die nächsten 187 Tage durchhalten will, muss ich mir meine Kräfte jedenfalls besser einteilen. Sonst erliege ich dem Tausch-Burnout. Wahrscheinlich werden mich in Indien ganz andere Herausforderungen erwarten, als ich sie in DACH (Deutschland-Austria-Chweiz) zu meistern hatte. Die Eselkutsche hat mich gelehrt, dass ich auch an den Transport der Tauschgüter denken muss, und das speziell in Indien, wo ich mit dem Zug reisen werde.
Leider muss ich auch eingestehen, dass sich entgegen aller guten Vorsätze der materielle Wert meiner ertauschten Sachen seit Hermann weiter verringert hat. Und was sollten die Inder schon mit einem Buch über Ufos anfangen können, mit einem Holzschlitten in sengender Sonne, was erst mit einem Stein, den andere Menschen als Beweis für einen Austausch mit Wesen aus dem All halten?
Trotz all dieser Bedenken bin ich verrückterweise immer noch begeistert davon, diesen Stein ergattert zu haben. Vielleicht ist es einfach das Gefühl, mir schon jetzt ein wenig von meinem Kindheitstraum erfüllt zu haben, den Sternen ein Stück näher zu kommen.
I ndien
S chließlich stehe ich also mit meiner Beute aus zehn Tagen Tauschaktivität am Frankfurter Flughafen, um für den Flug Richtung Südindien einzuchecken. Die Check-in-Dame am Schalter versucht verzweifelt, ernst zu bleiben, als sie den Holzschlitten auf das Förderband legt. Ich beobachte, wie ihre Blicke immer wieder zu ihrer Kollegin schweifen und sie das Lachen kaum unterdrücken kann.
»Schlittenfahren in Indien, ich freu mich schon drauf!«, sage ich betont locker. Sie grinst mich an und wünscht mir viel Spaß.
Bei der Sprengstoffkontrolle sieht die Sache dann schon ernster aus. Die Handwaschmaschine im Handgepäck wird mehrfach in der Infrarotröhre hin- und hergefahren. Ich beobachte, wie mehrere Leute vom Sicherheitsdienst die bunten Farben auf dem Computerbildschirm zu deuten versuchen. Kurze Zeit später werde ich in Begleitung der Handwaschmaschine in einen Nebenraum gebracht, wo ein weiterer Sprengstoffexperte des Frankfurter Flughafens mit einem feuchten Läppchen in einer Plastikhalterung langsam über die Waschmaschine fährt. Ich kenne diese Prozedur von anderen Flugreisen. Sollte sich das feuchte Tuch am Ende der Halterung verfärben, hat man ein riesiges Problem. Aber natürlich ist mir das noch nie passiert.
Leider entstammt die Handwaschmaschine einer Baureihe aus den 60er Jahren (so kann man es der Anleitung entnehmen, auf der die Schwarz-Weiß-Fotografie einer strahlenden Hausfrau mit hochgesteckter Frisur und Handwaschmaschine vor einem grauen Vorhang zu sehen ist). Deshalb ist offenbar auch die blaue Farbe der Maschine nicht mehr die frischeste, sie färbt das feuchte Sprengstofferkennungsläppchen leider blau. Ein äußerst verwunderter Sicherheitsbeamter steht nun also vor mir und schaut fragend auf das blaue Läppchen. Scheinbar weist Blau nicht auf Sprengstoff hin, und der Beamte scheint auch noch nie erlebt zu haben, dass das Läppchen unbekannte Farben annimmt. Deshalb wird es schnell konkret:
»Was ist das?«, fragt mich der Sicherheitsbeamte und deutet mit steinerner Miene auf sein Untersuchungsobjekt.
»Eine Handwaschmaschine, eine blaue«, antworte ich wahrheitsgemäß.
Der Sicherheitsbeamte schweigt drei Sekunden lang und schaut mich dann an: »Ungewöhnlich, aber eigentlich nicht sehr lustig. Guten Flug.«
In Indien angekommen wird es dann schnell wieder lustiger. Meine erste Station ist Kochi, eine Millionenstadt im
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