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Wigges Tauschrausch

Wigges Tauschrausch

Titel: Wigges Tauschrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wigge
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bekamen, wovon sie mehr schlecht als recht lebten. Heute dagegen gehören die Tee-Berge hauptsächlich dem indischen Multikonzern TATA , der scheinbar halb Indien über alle Branchen hinweg besitzt. Da seine Frau für den Konzern arbeitet, erhalten sie ein kleines Haus, Krankenversicherung und dreißig Euro pro Woche, womit er sehr zufrieden ist.
    Kurze Zeit später erreichen wir Justins Siedlung inmitten der Tee-Berge. Europäische Besucher scheint es hier sonst nicht zu geben. Die Kinder des Dorfes springen aufgeregt an mir hoch und wundern sich über mein Aussehen und meine Größe. Das erwähnte Haus entpuppt sich als eine Zwei-Zimmer-Hütte, 1,90 Meter hoch, mit zwei Betten für vier Leute in einem der beiden kleinen Räume. Wir stehen mit den Kindern der Siedlung im Schlaf- und Essensraum vor der Kaffeemaschine und dem Entsafter. Justin grinst breit, er kann seinen Stolz darüber nicht verbergen, dass er mit einem Europäer ein so vorteilhaftes Tauschgeschäft gemacht hat. Durch die Tür blicken viele neugierige Gesichter in den Raum. Die Enttäuschung ist groß, als wir feststellen, dass die Kaffeemaschine einen US -amerikanischen Stecker hat, der nicht in die Steckdose passt. Saneer springt sofort ein und bastelt aus zwei Drähten einen provisorischen Übergang, so dass wir kurz darauf das Wasser durch einen Ersatzfilter aus Zeitungspapier in die Kaffeekanne laufen sehen. Die erstaunten Gesichter der Kinder zeigen mir, dass es hier mitten in den Teeplantagen wohl nicht viel Kaffee gibt.
    Am Ende des Nachmittags frage ich Justin, ob er mit seinem recht einfachen Leben glücklich sei. Er antwortet mir, dass er sich nichts Besseres vorstellen könne. Und ich bin beeindruckt, wie wenig Glück von Reichtum abhängt.
    Wenige Tage später fahre ich endlich mit einem Tuk Tuk auf den angeblich größten Tauschmarkt der Welt mit seiner angeblich 200-jährigen Geschichte: Matta Chanda , mein eigentliches Ziel hier in Indien.
    Nach einer holprigen Fahrt liegt der einzige, erste, weltgrößte und grandioseste Tauschmarkt der Welt vor mir in der Mittagshitze: Ein paar lumpige Kirmesstände reihen sich vor mir auf, die aufblasbare Neon-Delfine, Luftschlangen und Knallkörper verkaufen. Das soll alles gewesen sein? Und die Preisschilder an den Waren leuchten mir in allen Neon-Farben der Welt entgegen. Ich bin total enttäuscht und würde am liebsten meine fünf Kilo Tee mitten auf den Kirmesmarkt werfen und ganz laut rufen: »Barterman ist hier, lass uns endlich tauschen! Du komischer und weltgrößter Tauschmarkt, komm endlich raus!« Aber die Anwesenheit von Krishna, dem Organisator, erlaubt mir keinen Gefühlsausbruch. Er erzählt mir ganz freundlich, dass er von den Darstellungen im Internet, von Adjektiven wie groß, toll, einzigartig und tauschfreudig, die den Markt beschreiben sollen, noch nie gehört habe. Ich erzähle ihm, dass ich wegen der Berichte zum Tauschen extra nach Indien gereist bin. Krishna kann sich sein Grinsen über meinen naiven Umgang mit dem Internet kaum verkneifen. Weiter erklärt er mir, dass hier auf dem Markt schon seit 1000 Jahren nicht mehr getauscht wird, da Indien im 21. Jahrhundert ein modernes Land sei und man den Umgang mit Geld bevorzuge. Er erklärt mir in aller Ruhe, dass Tauschgeschäfte den Nachteil hätten, dass man immer genau das Produkt anschleppen müsse, das der Anbieter eines anderen Produkts zufällig gerade benötige. Ach, ne,denke ich, sage aber nichts. Abschließend wünscht mir Krishna noch alles Gute für meine Tauschreise, und ich verlasse den Markt mit einem aufblasbaren Neon-Delfin für zehn Rupien.
    Einen Tag später liege ich auf einer Schlafpritsche in einem indischen Zug Richtung Goa, der ehemaligen Hippie-Enklave der späten 60er und 70er Jahre. Die Enttäuschung über den berühmten Tauschmarkt Matta Chanda ist überwunden, und ich schaue mir auf der 1,70 Meter langen Pritsche im dritten Stock des offenen Abteils unter lauten Ventilatoren und vor Fenstern, die nur aus Gitterstäben bestehen, mein eingerahmtes Hawaii-Bild an, das ich aus Deutschland mitgebracht habe. Ich frage mich ernsthaft inmitten eines ungeheuren Lautstärkepegels, den die vielen Mitreisenden verursachen, ob mein Plan mit dem Hausauf Hawaii überhaupt realistisch ist. Unter meinen angezogenen Beinen liegen die fünf Kilo Tee, die mich mittlerweile nur noch nerven. Wie soll ich vom Tee zum Traumhaus kommen? Es scheint unmöglich zu sein.
    Am nächsten Morgen gehe ich durch den Zug und spreche

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