Wigges Tauschrausch
Tee ziehe ich weiter zur nächsten Strandbar. Die mittlerweile nur noch vier Kilo Tee und die Lautsprecherbox werden in der Mittagshitze immer schwerer, so dass ich den ganzen Sack am liebsten gleich ins Meer werfen würde. Trotz der spannenden Menschen, die ich am Strand treffe, macht mir mein Tauschrausch gerade überhaupt keinen Spaß mehr. Wie soll ich jemals aus diesem Tal der Tränen herauskommen?
An der Strandbar spreche ich Christopher an, einen französischen Aussteiger, dem das wilde Leben anzusehen ist. Er ist vielleicht gerade mal vierzig, aber seine Haut wirkt verlebt, und ihm fehlen ein paar Zähne. Er arbeitet hier als Tandem-Paraglider für Touristen. Und ehe ich mich versehe, befinden wir uns zusammen im Tandemflug mit einem Glide-Schirm hoch in der Luft über Anjuna Beach. Die Aussicht ist einmalig: lange Sandstrände, Palmenwälder und ein offenes Meer, in dem sich die Sonne spiegelt. In luftiger Höhe erzählt mir Christopher, dass er in Frankreich als Ingenieur im Atomprogramm des Landes gearbeitet und somit in gewissem Sinne auch zur Herstellung von Waffen beigetragen habe. Er erzählt davon, viel Geld verdient, aber freiwillig den Wohlstand gegen dieFreiheit am Hippiestrand eingetauscht zu haben. Er erklärt mir, während wir im Zick-Zack-Kurs über den Strand gleiten, dass er heute mit nur ein paar Rupien in der Tasche, dafür aber täglich hoch in der Luft, viel glücklicher sei als damals. Auf meine Frage, ob ein bisschen Geld das Glück nicht doch noch ein wenig steigern würde, lacht er laut und erzählt mir, dass seine iranische Freundin reich genug sei.
Da auch Christopher keinen Tipp hat, wie ich an ein Tuk Tuk kommen könnte, beginne ich damit, herumzutelefonieren, um Kontakt zu Leuten zu bekommen, für die es finanziell keine große Sache ist, ein Tuk Tuk zu tauschen. Also telefoniere ich mit Sabine, einer Freundin aus Köln, die mir die Nummer von Wiebke gibt, die gerade eine Fahrradtour durch Indien macht. Wiebke gibt mir wiederum die Nummer von Tamara, die auch in Goa lebt, und von Uti, die angeblich schon vor Jahrzehnten von Deutschland hierhergekommen ist.
Die vielen Telefonate mit den nicht enden wollenden Erklärungen über meine Tauschrausch-Idee strengen mich an. Aber dann bekomme ich eine Einladung von Uti, sie zu besuchen. Auch Mark, der indische Journalist aus dem roten Haus, hatte mir in einem seiner Selbstgespräche von Uti erzählt. Angeblich habe er früher bei ihr zur Untermiete gewohnt, bevor es zu irgendeinem Eklat gekommen sei. Von Wiebke und Mark weiß ich auch, dass Uti wohlhabend sein soll. Also ziehe ich mit großen Hoffnungen los, um sie zu treffen.
Ich sitze auf der Terrasse eines großzügigen Kolonialhauses und erkläre Uti mein Anliegen. Am Ende steht die Frage, ob sie jemanden kenne, der bereit wäre, ein Tuk Tuk gegen vier Kilo Tee und eine Lautsprecherbox zu tauschen, wenn ich ihm außerdem noch die ein oder andere Dienstleistung dafür anböte, vielleicht Butler-Tätigkeiten oder etwas in der Art.
Uti lässt sich leider gar nicht auf meine Idee ein. Stattdessen erzählt sie mir, wie sie vor 25 Jahren als junges Mädchen nach Goa gekommen ist und als Erstes auf einer LSD -Party landete. Dort hielten sie alle Leute aufgrund ihres goldenen Kleides für ein »Golden Girl«, im Drogenrausch hätten sie sie regelrecht angebetet. Noch Jahre später sei sie in Goa auf der Straße von Hippies ehrfürchtig als »Golden Girl« angesprochen worden, obwohl sie da schon längst eher zu den Wohlhabenden als zu den Hippies gehörte.
Auch wenn ich Utis Geschichte ziemlich lustig finde, merke ich doch, dass ich mit den Gedanken ausschließlich beim Tuk Tuk bin. Mir geht einzig und allein durch den Kopf, wen ich noch kontaktieren könnte, um endlich ans Ziel zu gelangen. Ich erwische mich dabei, wie ich Uti höflich zunicke, aber eigentlich nur noch unzusammenhängende Wortfetzen aufnehme. Und so erinnere ich mich, während Uti weiterredet, plötzlich daran, dass Michel, der deutsche Althippie, davon gesprochen hatte, dass er zu einer Party bei seinem deutschen Freund und Millionär eingeladen sei. Als ich schließlich vor Utis Haus stehe, rufe ich Michel sofort an. »Klar, komm doch auch. Armin besitzt eine Firma in Südindien und ist immer für verrückte Ideen zu haben!«, höre ich Michel sagen, und mir fällt ein großer Stein vom Herzen.
Bei meiner Ankunft in einem dreistöckigen Anwesen mit viel hochwertigem Mobiliar werde ich soeben von mehreren indischen
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