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Wigges Tauschrausch

Wigges Tauschrausch

Titel: Wigges Tauschrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wigge
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langem Abwägen lehne ich schweren Herzens ab und verlasse das Haus.
    Ich fühle mich gestresst, sozusagen am Boden der Tauschkette. Warum habe ich jemals den Kickertisch abgegeben? Wäre ich doch lieber mitsamt Kicker in einem 68er-Hippie-Bulli über die Türkei, den Iran und Afghanistan nach Indien gefahren. Auch wenn mir klar ist, dass diese Idee völlig abwegig ist, bin ich total frustriert nach diesem tollen Tauschstart in Indien, praktisch am Boden zu sein. Hier sitze ich also jetzt mit einem Batzen Fleisch vor einer Kochschule und beobachte, wie die Fliegen Angriff auf den Fleischklumpen nehmen. Ich versuche, sie mit ein wenig Herumgewedel zu verscheuchen, sie drehen eine Runde und lassen sich dann in aller Seelenruhe wieder auf dem Fleisch nieder.
    Plötzlich steht Marias Ehemann vor mir und führt michzurück in die Kochschule. Maria steht in der Küche, die beiden schauen freudig auf den Küchentisch, auf dem jetzt neben dem elektrischen Entsafter eine Filterkaffeemaschine steht. Ich bin gerührt, ihre Freude zu sehen und vor allem darüber, dass sie sich Gedanken gemacht haben, wie sie mir helfen können. Marias Ehemann erzählt mir, dass sie den Entsafter und die Kaffeemaschine nicht leichten Herzens hergeben würden, da viele Inder sich solche Güter gar nicht leisten könnten, die Kaffeemaschine sei sogar aus Kanada importiert. Er erzählt aber auch, dass der Strom im Bundesstaat Kerala unverhältnismäßig teuer sei, so dass sie die Geräte nie benutzen könnten und sie sich deshalb zu dem großzügigen Angebot durchgerungen hätten. Ich bin äußerst dankbar, diesen netten Menschen begegnet zu sein, mache den Deal und schüttele beiden die Hände.
    Am nächsten Tag besuche ich sie noch einmal, um live mitzuerleben, wie mein Fleisch in den Händen von zwei japanischen Touristen zu einer gut duftenden Mahlzeit wird.
Im Tausch-Tal der Tränen
    Kaffeemaschine und Elektroentsafter begleiten mich also, als ich mit Saneer, einem 24-jährigen indischen Taxifahrer, in die Tee-Berge von Munnar fahre, eine Region auf über 1000 Höhenmeter, die ausschließlich aus grünen Hügeln besteht, komplett mit Teepflanzen bedeckt. Diese Hügel, die bis zum Horizont grün leuchten, sind ein unglaublicher Anblick, sie sehen aus, als seien sie mit Moos bedeckt.
    Bevor ich diese Landschaften aber zu sehen bekomme, muss ich erst die indische Straßenverkehrsschulung Teil 2über mich ergehen lassen. Saneer scheint sich vorgenommen zu haben, die fünfstündige Autofahrt auf einer sehr stark befahrenen Strecke auf eine halbe Stunde zu verkürzen. Wie der Taxifahrer am Flughafen vor ihm, rast er wie ein Verrückter durch den Straßenverkehr und überholt alles, was er mit seinem Auto abhängen kann. Dabei ist es ihm völlig egal, was sich auf der Gegenfahrbahn befindet, ein anderes Auto, ein LKW oder ein Auto, neben dem sich außerdem noch ein Motorrad vorbeizuquetschen versucht. Mir ist immer noch unklar, wie Saneer es schafft, zwischen den Autos hindurchzukommen, ich weiß nur, dass er dabei Gas gibt.
    Mich packt die Angst, und ich bitte ihn, vorsichtiger zu fahren. Er lacht und meint nur: »Europäische Leute, immer Angst!« Okay, ich hab’s verstanden. Ich bin als europäisches Weichei gebrandmarkt, nur weil ich nicht an Wiedergeburt glaube und mein Leben zumindest nicht heute beenden möchte. Saneer macht munter weiter. Links, rechts, durch die Mitte, hupen, Autos schneiden, Autos ausbremsen, so dicht wie möglich auf Autos auffahren. Nach einer halben Stunde habe ich das System, das sich dahinter verbirgt zwar immer noch nicht durchschaut, aber ich merke allmählich, dass der Wahnsinn immer irgendwie gut geht. Saneer erklärt mir, während eines Überholmanövers, bei dem er zwischen einem Tuk Tuk und einem LKW steckt, dass er zwar mal eine (heilige) Kuh ins Jenseits gefahren habe, sonst aber alles ganz gut laufe. Irgendwie nimmt meine Angst ab, wahrscheinlich weil mein Körper nicht mehr Adrenalin ausschütten kann, und ich entspanne mich und nehme den Zick-Zack-Kurs auf Höchsttempo hin. Nach einer Weile werde ich sogar übermütig und frage Saneer, ob er während der Fahrt drei Sekunden die Hände vom Lenkrad nehmen kann. Er macht es und lacht. Ichlege nach: »Five seconds!« Saneer macht es wirklich. Nach knapp fünf Sekunden bitte ich ihn, den Versuch abzubrechen. Wahrscheinlich hätte Saneer auch noch das Spiel Freihändig durch die Serpentinen nach Munnar mit mir gespielt. Ich habe es nicht mehr ausprobiert.
    Dabei

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