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Wigges Tauschrausch

Wigges Tauschrausch

Titel: Wigges Tauschrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wigge
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ist das Risiko, bei diesem Fahrstil umzukommen, übrigens gar nicht so klein, zumal Indien den traurigen Weltrekord in der Unfallstatistik hält: Jährlich sterben unglaubliche 100000 Menschen auf indischen Straßen, 25-mal so viele wie in Deutschland. Hinzu kommen zwei Millionen Schwerverletzte jährlich. Eine gewisse Annäherung an europäische Fahrgewohnheiten wäre also doch irgendwie wünschenswert.
    In Munnar entspannen mich die moosartigen Teehügel in frischer Höhenluft. So laufe ich mit Kaffeemaschine und Entsafter durch die Berge und halte Ausschau nach Tauschpartnern, die mit einem großen Sack Tee auf den Schultern durch die Plantagen laufen, so wie ich es von Fotos kenne. Aber leider läuft hier niemand herum. Saneer erzählt mir, dass auch Besichtigungen von Teefabriken nicht möglich seien, da die Teefirmen niemanden in ihre Produktionsstätten lassen. So gehen wir zum Teemuseum der Stadt, um einen Deal einzufädeln. Das Wachpersonal bittet uns, in der Regionalbehörde der Stadt eine offizielle Genehmigung zu besorgen, im überbürokratisierten Indien übrigens keine Überraschung.
    So sitzen wir in der Regionalbehörde vor einem indischen Beamten, der unter Ventilatoren und vor einem Computer aus den frühen 90er Jahren Papiere abstempelt. Ich erzähle ihm von dem Tauschvorhaben, und er verweist uns zurück ans Museum. Zurück am Museum sagt uns ein anderer Mann, dass die Lokal- und nicht die Regionalbehörde für die Erteilung der Erlaubnis zuständig sei.
    Genervt sitze ich eine Stunde später in einem Großraumbüro der Lokalbehörde, wieder mit vielen Beamten, Ventilatoren und Computern aus den frühen Neunzigern, dieses Mal trinken die Beamten allerdings Tee und stempeln nichts ab. Ich werde in ein Büro gerufen, in dem der Chef der Lokalbehörde auf mich wartet. Während ich ihm von meinem Tauschvorhaben und dem Traum vom Haus auf Hawaii erzähle, kniet er neben dem Schreibtisch vor seinem Drucker, der seine Papiere gerade wahllos verschluckt und zerreißt. Während er mit dem Drucker kämpft, sagt der Chef der Behörde immer wieder »Hm, hm. Ja, ja«, bekommt aber wahrscheinlich nichts von dem mit, was ich ihm berichte, da er nur Augen für den Druckerschacht hat. Als meine Erklärungen abgeschlossen sind, steht er auf, schüttelt mir die Hand und verweist mich an die Regionalbehörde. Ich will ihm gerade erklären, dass ich dort schon war, da ist die Tür schon geschlossen, und der Beamte befindet sich auf der anderen Seite.
    Also machen wir uns wieder auf zur Regionalbehörde, und derselbe Beamte, den wir schon vor einigen Stunden angetroffen haben, sagt nun, dass er doch für die Erlaubnis zuständig sei, sie mir aber nicht ausstellen will. Ich reiße mich zusammen, obwohl ich das Gefühl habe, vor Wut gleich zu platzen, und gehe wortlos nach draußen.
    Draußen warte ich darauf, dass Saneer das Auto holt. Während ich so dasitze, mit den Ellenbogen auf Kaffeemaschine und Elektroentsafter gestützt, kommt plötzlich ein Tuk-Tuk-Fahrer daher und zeigt Interesse an den Geräten. Er heißt Justin, scheint ein lustiger Vogel zu sein und lässt sich auf ein Tauschgespräch ein. Er fragt mich, wie viel Tee ich für die Geräte haben wolle. Ich sage zehn Kilo, er sagt fünf, ich sage neun, er sagt fünf, ich sage acht, er fünf, ich sieben, er fünf, ich sechs, er fünf undstreckt seine Hand aus, damit ich einschlage. Als ich zögere, grapscht er nach meiner Hand, der Deal ist gemacht. Ich ärgere mich tierisch, dass ich mich so über den Tisch habe ziehen lassen. Aber Deal ist Deal. Im Geschäft nebenan kauft Justin die fünf Kilo Tee für mich, der immerhin tausend Tassen Tee ergibt. Ich bin nicht wirklich glücklich mit der Entwicklung, da fünf Kilo Tee in Munnar keinen großen Wert haben. Dafür möchte ich dieses Mal wenigstens mitbekommen, was aus den Tauschobjekten wird, die ich gerade abgeben musste.
    So fahre ich mit Saneer und Justin auf dessen Tuk Tuk durch die endlosen Teehügel. Da ich so einen schlechten Tausch gemacht habe, darf ich als Entschädigung das Tuk Tuk fahren. Zuerst stottert das motorisierte Dreirad, aber dann bekomme ich ein Gefühl für die Kupplung und genieße die schöne Fahrt durch die Berge. Justin erzählt mir bei einem Zwischenstopp, dass die Tee-Berge von den englischen Kolonialherren vor über hundert Jahren angelegt wurden. Er erzählt, dass seine Vorfahren den Tee bei den Engländern eintauschten und oftmals für eine ganze Ernte nur Reis und Wasser

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