Wikinger der Liebe
nebeneinander an der großen Tafel saßen, suchte sie vergeblich nach Mitteln und Wegen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Aber sie brachte kein Wort hervor, und in ihrem Gehirn herrschte hoffnungslose Leere.
Das entging Raven nicht, und sie spottete darüber. Doch sie konnte ihre Sorge nicht verhehlen. Thorgold murmelte etwas Unverständliches in sein Ale und runzelte die Stirn, wann immer Hawk seinen Weg kreuzte. Am Morgen des Festtags traf Hawk ihn auf dem Weg zum Stall, wo er seinen Hengst striegeln wollte. Als ihm das finstere Gesicht des kleinen Mannes auffiel, übergab er die Zügel seines Grauschimmels einem Stallknecht und winkte Thorgold zu sich heran. »Was bekümmert dich?«
»Mich?« Thorgold spähte unter zusammengezogenen buschigen Brauen hervor. »Gar nichts. Um mich müsst Ihr Euch keine Gedanken machen, Mylord.«
Nachdem Hawk sich vergewissert hatte, dass niemand das Gespräch mit anhörte, nickte er. »Also gut. Welche Laus ist ihr über die Leber gelaufen?« In seiner Stimme schwang ein klagender Unterton mit, den er nicht zu unterdrücken vermochte und der Thorgold ein widerstrebendes Grinsen entlockte.
»Hat sie Euch durcheinander gebracht?«
»Glaub, was du willst. Aber beantworte meine Frage. Ist sie krank?«
»O nein, Lady Krysta ist kerngesund. Wie kommt Ihr bloß darauf, sie könnte krank sein?«
»Weil sie kaum mit mir redet und dauernd meinem Blick ausweicht. Seit dem Tag vor dem Unwetter sah ich sie nicht mehr lächeln. Ärgert sie sich über die harte Feldarbeit, die ihr zugemutet würde? Oder über die zahlreichen Pflichten, die sie vor dem Festmahl erledigen muss? Wenn du dir einbildest, ihr unermüdlicher Fleiß wäre mir verborgen geblieben, täuschst du dich, mein Alter. Aber ich habe sie nicht gebeten, die eine oder andere Aufgabe zu erfüllen, und sie muss nicht befürchten, die Position der Herrin von Hawkforte würde ihr ständig so viel Mühsal abverlangen.«
Eine Zeit lang schwieg Thorgold und zwirbelte die Enden seines langen schwarzen Barts. Als er Hawk wieder anschaute, funkelten seine Augen. »Verratet mir doch, Mylord, neigt Ihr dazu, die falsche Richtung einzuschlagen? Wenn Ihr in Eurem schönen Boot aufs Meer hinaussegelt, fällt’s Euch schwer, den Kurs zu halten? Oder wenn Ihr in die Wälder reitet, findet Ihr nicht nach Hause?«
»Welch ein Unsinn! Warum fragst du danach?«
»Denkt mal drüber nach, Mylord. Wenn’s irgendwas gibt, was Lady Krysta niemals gescheut hat, dann ist’s harte Arbeit. Schon in der Kindheit hat sie uns auf den Feldern geholfen. Damals lebte ihr Vater noch, und er wollte sie dran hindern, sich zu überanstrengen. Aber sie blühte geradezu auf, wenn’s möglichst viel zu tun gab, und sie hasste den Müßiggang.«
»Dann liegt’s wohl an mir. Irgendwie muss ich sie gekränkt haben.« Mit schmalen Augen musterte Hawk den seltsamen kleinen Mann. Schon seit Tagen überlegte er, ob er sich vielleicht getäuscht und Krysta seine Anwesenheit in ihrem Bett sehr wohl bemerkt hatte. Dann wäre es ihr gutes Recht, ihm zu zürnen. Doch er hoffte, sie hätte sich nicht bei ihren Dienstboten beschwert.
»Ich wüsste nicht, auf welche Weise, Mylord«, erwiderte Thorgold. »Für einen Sachsen seid Ihr gar nicht so übel.«
Erleichtert atmete Hawk auf, und er brachte sogar ein schwaches Lächeln zustande. »Besten Dank. Aber ich würde trotzdem gern herausfinden, wie ich Krysta aufheitern könnte.«
»Habe ich Euch von den Haarbändern erzählt?«
»Ja, allerdings bezweifle ich...«
»Mylord, Ihr grübelt zu viel«, fiel Thorgold ihm ins Wort. »Kauft ein paar hübsche Haarbänder und redet mit Eurer Braut oder noch besser, führt sie irgendwohin, wo sie nicht weglaufen kann, um dies oder jenes zu erledigen.«
Einen guten Rat wusste Hawk stets zu schätzen, selbst wenn er von einem Mann stammte, der einem Troll glich. Und so ritt er in die Stadt hinab, besuchte einen freudestrahlenden Händler und kehrte hochzufrieden mit seinen Einkäufen zurück. Weil das Erntedankfest soeben begann, konnte er sich nicht sofort an Krysta wenden.
Die Sonne wanderte bereits nach Westen, aber der Himmel war noch hell, während sich die Bewohner der Festung, der Stadt und der Bauernhöfe auf einer großen Wiese versammelten. Dort waren lange Tische aufgestellt, mit Tüchern bedeckt und mit verschiedenen Köstlichkeiten beladen worden, dem Ergebnis tagelanger Küchenarbeit. Unter dem wachsamen Auge des Kochs kümmerten sich junge Gehilfen um die
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