Wikinger der Liebe
beobachtete sie ihre Herrin, um festzustellen, wie sie diese Neuigkeit aufnehmen würde. Aber Krysta war mit den Büchern beschäftigt.
Also hatte er ihr Bücher geschickt. Obwohl sie seine Gefangene war. Bücher, die sie kostbarer fand als Juwelen. Und er schien nicht zu bezweifeln, dass sie sorgsam damit umgehen würde. Hastig wandte sie sich vom Tisch ab, sonst hätten ihre Tränen die wertvollen Ledereinbände befleckt.
»O Mylady, grämt Euch nicht!«, flehte Aelfgyth. »Alles wird wieder gut, das werdet Ihr schon noch sehen. Allzu lange kann unser Lord gar nicht zürnen. Und er hält sein Wort. Wenn Ihr aus dem Fenster schaut, werdet Ihr das schnellste seiner Schiffe sehen. Alle Segel hat er setzen lassen, und es wird Sciringesheal ansteuern. Euer Halbbruder ist bereits an Bord, Mylady. Diese Reise wird er wohl kaum genießen. Wie ich vorhin hörte, hat ihn seine Besatzung in Ketten gelegt, und die Leute glauben, Wolf Hakonson wird sie dafür belohnen.«
»Meinst du wirklich, das macht einen Unterschied?«
Diese Frage überraschte Aelfgyth. »Warum denn nicht? Die Mitgift muss bezahlt werden. Das hat der Jarl mit Eurem Halbbruder vereinbart, und er wird drauf bestehen. Die Verzögerung nimmt Euch unser Herr nicht übel. Nicht wirklich. Sonst hätte er Euch keine Bücher geschickt.«
»Auf die Mitgift allein kommt’s nicht an«, entgegnete Krysta langsam. »Was mein Halbbruder erzählt hat...«
»Dass Ihr ein Wechselbalg seid?« Obwohl Aelfgyth über ihre eigene Kühnheit erschrak und heftig errötete, fuhr sie unbeirrt fort: »Gewiss, alle Leute reden drüber, und sie finden, er könnte längst nicht so gut merkwürdige Begebenheiten schildern wie Lord Dragon. Seine Geschichte über den irischen Herrn und dessen Braut, die Meerjungfrau, habe ich geglaubt. Wie die meisten Dienstboten. Wenn man sich vorstellt, das würde tatsächlich geschehen, laufen einem kalte Schauer über den Rücken, nicht wahr? Weil niemand erwartet, solchen Fabelwesen im richtigen Leben zu begegnen.«
»Wieso meinst du, mit dergleichen hätte ich nichts zu tun?«
»Gar nichts, Mylady.« Lachend schüttelte Aelfgyth den Kopf. »Soll die grässliche Lady Daria doch herumlaufen und über Dämonen jammern! Je länger sie solchen Unsinn redet, desto weniger werden die Leute ihr Gefasel ernst nehmen.«
Allem Anschein nach hielten die Bewohner von Hawkforte die Braut ihres Herrn für unschuldig, weil sie Daria verachteten. Nur deshalb?
Während Krysta nachdenklich vor sich hin starrte, fuhr Aelfgyth fort: »Natürlich macht Ihr Euch jetzt Sorgen, weil Ihr befürchtet, Ihr müsstet ohne Mitgift heiraten. Welche Frau will das schon? Aber deshalb braucht Ihr Euch nicht aufzuregen. Alles wird sich zum Guten wenden. Das hat Lord Hawk versichert.«
Sekundenlang fühlte sich Krysta versucht, die Wahrheit zu gestehen. Doch sie schwieg, denn sie wollte das Mädchen nicht mit ihrem beklemmenden Geheimnis belasten.
Kurz danach verließ Aelfgyth das Zimmer, nachdem sie ihre Herrin ermahnt hatte zu frühstücken, sich auszuruhen und allen Kummer zu vergessen. In ein paar Stunden wollte sie zurückkehren, falls Krysta sich einsam fühlen und Gesellschaft brauchen würde.
Als die Zofe endlich die Tür hinter sich schloss, seufzte Krysta erleichtert. Sosehr sie Aelfgyths Fürsorge auch schätzte, es war ihr unendlich schwer gefallen, ihre wahren Gefühle zu verbergen. Jetzt musste sie nichts mehr verhehlen, auch nicht ihre Rührung über die Bücher, die Hawk ihr geschickt hatte. Sie setzte sich an den Tisch, aber sie öffnete die schönen Bände nicht sofort. Stattdessen strich sie über das feine Leder. Ohne diesen Zeitvertreib würde sie sich in ihrer Gefangenschaft ganz schrecklich langweilen. Und nun hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben nichts anderes zu tun, als zu lesen. Um niemanden musste sie sich kümmern, keine Verantwortung übernehmen, keine Pflichten erfüllen. Wie seltsam, dass sie diese Freiheit hinter verschlossener Tür genoss...
Den ganzen Tag und auch an den beiden nächsten vertiefte sie sich in ihre Lektüre. Wäre es nach ihrem eigenen Willen gegangen, hätte sie die Bücher erst geschlossen, wenn ihre Augen schmerzten und der Kopf so schwer wurde, dass sie wohl oder übel schlafen musste. Aber Aelfgyth brachte ihr regelmäßig eine Mahlzeit, und wann immer sie ein unberührtes Tablett entdeckte, blieb sie mit strenger Miene neben dem Tisch stehen, bis ihre Herrin wenigstens ein paar Bissen gegessen hatte. Außerdem
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