Wikinger der Liebe
schleppte sie eimerweise heißes Wasser die Treppe herauf - eine Mühe, die Krysta nicht missachten konnte. Das Bad war ihr willkommen, und danach fühlte sie sich besser. Aber sobald sie sich abgetrocknet hatte, kehrte sie zu den Büchern zurück.
Sie studierte den Psalter und bewunderte die poetischen Verse, verschlang immer neue Geschichten und stellte sich die Charaktere der Verfasser vor. Mit einigen Schwierigkeiten versuchte sie die Schriften des heiligen Augustinus zu verstehen. Einige Abschnitte, die ihr rätselhaft erschienen, las sie mehrmals. Und Boethius - Hawk hatte ihr das Buch geschickt, das ihn selbst erst vor kurzem interessiert hatte. Darin fand sie die sorgsam eingetragenen Randbemerkungen König Alfreds, des Übersetzers. Am Nachmittag des dritten Tages hörte sie durch die offenen Fenster ein Signalhorn, das die Ankunft vornehmer Besucher ankündigte.
Behutsam legte sie das Buch beiseite, das sie gerade las, und spähte hinaus. Ihr Turmzimmer lag hoch oben, und so erkannte sie nur die königlichen Insignien auf den Bannern einiger Ritter. Doch das genügte, um den seltsamen Frieden der letzten Tage zu stören und sie an die Probleme der Außenwelt zu erinnern.
Am Abend kam Hawk zu ihr. Schon bevor das eiserne Schloss geöffnet wurde, hatte sie seine Schritte erkannt. Einige Sekunden lang blieb er auf der Schwelle stehen, in einer schwarzen, mit goldenen Fäden durchwirkten Tunika. Auch an seinem Hals und den muskulösen Oberarmen funkelte Gold - und auf seinem Haar, das im Licht der Kohlenbecken schimmerte.
Krysta saß auf dem Bett, nur mit einem Hemd bekleidet, denn sie hatte niemand anderen als die getreue Aelfgyth erwartet. Bei Hawks Anblick zuckte sie zusammen. Aber sie widerstand dem Impuls, nach einer Pelzdecke zu greifen. Er schloss die Tür und räusperte sich. »Geht es dir gut?«
Obwohl er so freundlich gewesen war, ihr die Bücher zu senden, hatte sie mit einem Tadel gerechnet. Seine Besorgnis überraschte sie. »Ja, vielen Dank. Und ich danke dir auch für die Bücher. Das war sehr nett von dir.«
»Nun, du bist nicht an den Müßiggang gewöhnt«, erwiderte er leicht verlegen. »Und so dachte ich, du solltest dich beschäftigen.«
»Gewiss, ohne diese Abwechslung würden sich die Stunden viel zu langsam dahinschleppen.«
Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, nickte er. Das Schweigen zog sich in die Länge. Ehe es unerträglich wurde, erregte ein kaum berührtes Tablett Hawks Aufmerksamkeit. »Deine Zofe hat mir erzählt, du würdest zu wenig essen.«
War er deshalb zu ihr gekommen? Insgeheim ärgerte sie sich über Aelfgyth, die ihn beunruhigt hatte, statt den Mund zu halten. »Oh, ich esse genug. Wenn ein anderer Eindruck entstanden ist, dann nur deshalb, weil mir meine Zofe fünf oder sechs Mal am Tag eine Mahlzeit serviert. Hätte ich auch nur die Hälfte von alldem verspeist, was sie mir aufdrängen wollte, würde ich mittlerweile wie eine Weihnachtsgans aus- sehen.«
Er begann zu lachen, beherrschte sich aber sofort und schlug einen strengen Ton an. »Aber du isst noch immer kein Fleisch.«
»Noch nie im Leben habe ich Fleisch zu mir genommen.«
»Trotzdem wäre es mir lieber, du würdest dich dazu durchringen. Sonst schadest du deiner Gesundheit.«
»Hältst du mich für einen Schwächling? Ich versichere dir, das bin ich nicht.«
»Vorerst wohl nicht, doch du könntest erkranken, wenn du dich falsch ernährst. Eine saftige Rindslende, rosa gebraten, das ist es, was du brauchst, um dein Blut zu stärken. Ich werde Aelf gyth sagen...«
»Nein, bitte nicht! So etwas bringe ich nicht hinunter. Wenn du mich dazu zwingst, werde ich wirklich krank.«
»Jetzt übertreibst du. Aber da du so empfindlich bist, werde ich Aelfgyth erklären, sie soll die Lende ganz durchbraten lassen, obwohl’s ein Jammer ist, ein schönes Stück Rindfleisch zu vergeuden.«
»Glaub mir, Hawk, ich kann’s nicht essen.«
»So viel Aufhebens um ein bisschen Fleisch...« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Vielleicht gelingt es dir, mich von meinem Entschluss abzubringen.«
»Wie denn?« Plötzlich schlug ihr Herz schneller.
»Ich wurde an den Hof gerufen. Komm mit mir.«
Meinte er das ernst? »An König Alfreds Hof?«, stammelte sie.
»Einen anderen gibt’s nicht in England. Dort wirst du noch mehr Bücher finden, interessante Leute treffen und jede Menge Abwechslung genießen.«
Da stand er, keine Traumgestalt, sondern leibhaftig. Aber seine Worte ergaben keinen Sinn.
Weitere Kostenlose Bücher